Donnerstag, 21. August 2014
crazy
gestern abend ruft das objekt an und fragt ganz direkt: "kann ich vorbeikommen?"
das klingt ernst und ein wenig dringlich. ich bin irritiert und denke, vielleicht weil ich am samstag so abweisend war. möglicherweise fällt der groschen ja pfennigweise und es hat über sein verhalten in den letzten wochen nachgedacht.
"von mir aus", sage ich.
"super, ich freu mich", antwortet es.
ich schweige.
pause.
"soll ich... was mitbringen... brauchst du was?" stottert es dann.
ich überlege. warum eigentlich nicht? außerdem ist der wodka gerade alle.
"eine flasche wodka."
"okay, madame. ich bin dann in einer halben stunde da, wenn dir das recht ist."
"ist mir recht."

als das objekt ankommt, hat es zwei dicke einkaufstüten dabei. ich staune bauklötze.
"ich koch uns was, was meinst du? großer hunger oder kleiner hunger?"
"äh, ich hab schon gegessen", antworte ich wahrheitsgemäß.
"dann was für den kleinen hunger. und guck mal, ich stand gerade so beim wodka, dann ist mir der da ins auge gefallen, und ich dachte, wir gönnen wir uns mal was richtig feines!"
es hält mir eine flasche upper-class-whiskey unter die nase.
"na, ist das was, das ist doch mal was, nicht immer nur dein billigfusel!" dreht es auf und strahlt mich an.
ich atme tief durch.
"kannst du dich bitte hinsetzen und einfach mal die klappe halten?"

"entschuldige, ich bin aufgeregt", sagt es, als es endlich sessel unter dem arsch hast.
"ich merks", sage ich.
"du... du bringst mich immer so aus der fassung."
"na herzlichen glückwunsch, dir gelingt das aber auch ganz gut", sage ich sarkastisch.
das zieht ungehört am objekt vorbei, denn es ist schon dabei, die neusten news zu erzählen. unter anderem will das bafögamt endlich sein bafög zurück, wodurch das objekt nun schon wieder auf mehreren tausend euro schulden sitzt. das tut mir leid, aber nur ein bisschen und bestätigt meinen glauben an karmische vergeltung.

"ich hoffe, du erzählst mir das jetzt nicht, weil du denkst, ich leih dir geld", sage ich.
"nein, nein... gar nicht. ich habe vielmehr daran gedacht, meine mutter anzuhauen. das kostet mich zwar stolz... weil ich das studium ja nie zu ende gebracht habe... aber besser als das jetzt noch unnötig rauszuzögern, oder?"
"warum fragst du nicht deinen freund n.? der ist doch so reich."
"ähm, also, wir sind... nicht mehr befreundet. so richtig."
"warum das denn?" bin ich irritiert, denn n. ist der älteste und beste objektfreund.
"ich hab mir sein auto geliehen."
"na und? durftest du das nicht?"
"doch, doch. also so um in der gegend rumzufahren."
"aber?"
"naja, ich bin damit in urlaub gefahren."
ich schlage mich mit der hand auf die stirn:
"und da wunderst du dich."
"das war doch gar nicht das problem. sondern dass er das auto dann selber brauchte, wegen irgendwas beruflichem, und ich... wollte doch urlaub machen. und dann bin ich erst zwei tage später zurückgefahren."
"okay, ich fasse zusammen, du nimmst dir ein auto, fährst damit heimlich in urlaub, und es war dir egal, als der besitzer das auto dann selber wieder brauchte?"
"aber seine frau hat doch auch ein auto."
"vielleicht hatte seine frau ja keinen bock, ihm das auto zu geben, weil die unzuverlässigen freunde ihres mannes nicht ihr problem sind?" sage ich spitz.
das objekt seufzt tief.
"ja, ich weiß, ich hätts nicht machen sollen, aber ich... ich weiß auch nicht, ich hatte total den aussetzer."
"einen egozentrischen aussetzer, soso."
das objekt macht große unschuldige kulleraugen:
"morphinchen, du kennst mich! du weißt, wie ich bin!"
ich schaue ihm fest in die augen:
"ja. leider."

"wie gehts denn deinen eltern? und deiner oma?" wechsle ich schließlich das thema.
"gut. meine oma wird jetzt 98."
"dann macht sies wahrscheinlich nicht mehr lange."
"nein. und ich muss überlegen, wie ich das mit dem haus mache. ich habe nochmal mit der gespielin gesprochen, aber die denkt ja noch gar nicht an die zukunft. da ist sie einfach noch nicht weit genug."
"vielleicht ist ihre zukunft ja nicht deine zukunft?"
das objekt wippt in seinem sessel.
"weißt du, ich will das nicht allein machen. und ich könnte mir das total toll vorstellen... so mit dir zusammen!"

ich verschlucke mich am whiskey und muss husten. was in aller welt geht da bloß im objekthirn ab?
ich höre mir den folgenden monolog an, der sich darum dreht, dass das objekt auf dem grundstück eine art trailerpark aufbauen will. es faselt von energiekosten und wassersparen und bio und totaler autarkie, bis ich sage:
"du glaubst nicht ernsthaft, dass ich mein leben hier für nen trailerpark aufgebe?"
das objekt sieht mich an:
"du würdest da gesund werden, da glaube ich ganz fest dran."
ich atme langsam aus.
"lass uns darüber sprechen, wenn es relevant wird, ja? und wenn die gespielin doch mitzieht, brauchst du mich ja gar nicht."

das objekt betrachtet mich angestrengt, versucht offensichtlich den zynismusanteil meiner aussage abzuschätzen, und beschließt dann, sich einen kommentar zu sparen. es steht auf und geht in die küche. dort kocht es uns griesbrei mit apfelkompott und vanillezucker.
"ein essen aus meiner kindheit", seufze ich, nun doch ein wenig angetan. "und du hast sogar an die laktosefreie milch gedacht."
"klar."
wir lümmeln wieder im sessel und lassen uns von meineröhre berieseln. das objekt wird ruhiger, kifft kette, erzählt keine durchgeknallten stories mehr und wird mir wieder ein wenig vertrauter.

"warum bist du am samstag eigentlich so früh abgehauen", will es dann doch wissen.
"ich wollte halt lieber auf einer brücke stehen und heulen."
das objekt lächelt angestrengt.
"ich hatte so ein komisches gefühl... ich stand dann da später auf diesem aussichtsturm und da fiel mir ein, ob du dir nicht überlegt hast, in die elbe zu springen."
"du kennst mich halt doch ganz gut."
da stellt das objekt den teller beiseite, kniet sich vor mich und zieht mich an sich, so fest, dass ich kaum noch luft bekomme. dann nimmt es meinen kopf in beide hände und sagt eindringlich:
"das darfst du nie, nie, niemals tun."
prompt bekomme ich meinen schwachen moment und tränen schießen in meine augen. ich komme mit der objektgegenwart nicht klar, es ist mir nah und fern, vertraut und fremd, und dann küsst es mich einfach ganz tief und ganz lange.

"ich will so gerne bei dir sein", flüstert es in mein ohr.
ich zögere und zögere, dann mache ich mich gerade, räuspere mich ein wenig und stammle dann:
"aber... aber ich morgen früh raus. also mein chef... ich muss mit dem reden."
das objekt schaut verunsichert, dann fängt es sich und schlägt vor:
"was hälst du davon: wir bauen uns jetzt ein bett und dann schlafen wir einfach... und dann bin ich da, wenn du morgen früh los musst?"
ich schaue zweifelnd:
"musst du nicht zurück zu deiner ollen?"
"das hat zeit", behauptet das objekt.
ich beschließe, keine fragen zu stellen. stattdessen horche ich ganz tief mich hinein, was mein bauch zur objektiven idee meint. dann sage ich:
"du kannst noch ein bisschen bleiben, so bis ich eingeschlafen bin, aber in einer stunde verschwindest du bitte."
"wir machen es so, wie du es kannst und willst", verspricht das objekt.

das objekt bringt mich also ins bett. es legt sich neben mich und nimmt mich in den arm. es fühlt sich an wie früher, das warme rauschen der geborgenheit, gepaart mit dem sanften flackern latenter geilheit.
wir liegen wach und belauern uns. ich versuche, ruhig und gleichmäßig zu atmen und die atmung zu verlangsamen, damit das objekt denkt, dass ich schlafe. das gelingt mir so gut, dass ich tatsächlich kurz wegknacke und minuten später panisch hochschrecke.
"was ist los", will das objekt wissen.
"hab geträumt", lüge ich.
das objekt streichelt mich sachte und vorsichtig mit einer seltsamen mischung aus verlegenheit und sehnsucht im blick. ich kuschle mich in seine achselhöhle und schnuppere und schnuppere, bis ich tatsächlich ruhig werde und wieder einschlafe.

gegen halb fünf werde ich erneut wach. das objekt schläft tief und fest neben mir. ich wecke es auf und werfe ich es aus der wohnung.
"ich bin zu angespannt, ich muss alleine sein", argumentiere ich.
"das ist in ordnung", findet das objekt. "geht mir auch manchmal so."
es packt sein sachen, schlüpft in jacke und schuhe und kommt dann noch einmal für eine letzte umarmung.
"es ist übrigens noch griesbrei da. kannste später frühstücken."
"ja."
"soll ich dir auch das kompott dalassen?"
"von mir aus."
"ich stells dir kalt."
"danke mutti."

als sich das objekt aus der tür drückt, überfällt mich eine seltsame mischung aus heimweh und erleichterung. weiterschlafen unmöglich. also liege ich wach bis zum weckerklingeln und denke über dieses mehr als merkwürdige intermezzo nach.