Samstag, 2. August 2014
drinnen und draußen
nach fünf tagen bin ich wieder in freiheit, auf eigenen wunsch.

in therapeutischer hinsicht ist im endeffekt nicht viel passiert. ein bisschen blubb, neue lustige diagnosen, ein bisschen beschäftigung. ich für meinen teil habe in der ergotherapie wiederentdeckt, wie gerne ich künstlerisch tätig bin. dinge mit den händen machen, formen, machen, ergebnisse sehen und anfassen können.

eingesperrt zu sein ist ein merkwürdiges gefühl. drinnen will man nur raus. draußen dann, so in der u-bahn, hatte ich angst. weil da ja nun wieder all die stinos um einen rum sind, die rücksichtslos ihr ego an einem vorbeipressen.

was ich drinnen unheimlich genossen habe, war, dass mich alle insassen verstanden haben. wir haben alle ähnliches erlebt: die totale ausbeute durch arbeitgeber, fehlende kommunikation, mangelhafter sozialer und familiärer rückhalt, schicksalsschläge, schmerzhafte krankheiten, finanzielle sorgen, flucht in drogen, isolation oder vermeintlich schützende verhaltensweisen. dabei waren die meisten akademiker, hatten teilweise in hochkarätigen berufen gearbeitet und irgendwann mal viel geld verdient. sie wurden ausgesaugt durch scheidungen und unterhaltsverpflichtungen sowie durch die erkrankung, die viele langfristig auf hartz IV zurückgeworfen hat.

alle insasssen zeichnete die gleiche sehnsucht nach verstandenwerden aus. schon am ersten tag hatte ich wirklich gute und tiefgehende gespräche. nicht über probleme, sondern über gott und die welt. und obwohl ich unter depressiven war, habe ich viel gelacht. diese leute waren bis auf wenige ausnahmen klug, witzig und unterhaltsam. die ausnahmen waren eine entmündigte frau, die sich ständig von den mitinsassen gemobbt fühlte und ein angstpatient, der meines erachtens auf der falschen station war. organisatorisch ging überhaupt sehr viel drüber und drunter, sodass ich die ganze zeit das bedürfnis hatte, excel-tabellen zu entwerfen, um dinge zu strukturieren und übersichtlicher zu machen. außerdem wären einige kreative impulse dringend nötig gewesen: der immer und für alle gleiche therapieplan beispielsweise stammte aus dem jahr 2008.

die eigentliche therapie war mich für, mich widerspiegeln zu können in menschen, die - auf ihre individuelle weise - genauso waren wie ich. das hat mich darin bestätigt, dass ich überhaupt nicht verkehrt bin. mein zuständiger oberarzt war die ganze zeit nur auf der suche nach der "richtigen" diagnose, die er mit den "richtigen" medikamenten behandeln wollte. das war ein kapitel, das ich als geradezu entmenschlichend empfand: klassifizieren, einsortieren und dann alles charakterlich störende eliminieren.

ich möchte so sein wie ich bin. mit meinen schwächen und dispositionen, aus denen aber auch stärken hervorgehen. vielleicht brauche ich ein bis zwei chancen mehr als andere. vielleicht darf ich von 90 prozent meiner mitmenschen gar nichts oder eher schlechtes erwarten. aber es muss doch möglich sein, einfach leben zu dürfen.

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