Sonntag, 17. August 2014
teletubbies
die beste party des jahres steht an. ich habe mich die ganze woche drauf gefreut. nur noch drei, zwei tage, nur noch den freitag arbeiten, sage ich mir, dann ist es soweit. der dritte und die drittefreundin und auch die objektexfreundin haben sich bereits angekündigt, mich zu begleiten. besser geht nicht, finde ich.

gestern gegen 23 uhr weiß ich, dass meine lieben freunde doch nicht kommen werden. meine vorfreude sinkt von exorbitant auf sehr lau. ich weiß auch nicht, ob das objekt anwesend sein wird. wenn es nicht da ist, habe ich einen entspannten abend und werde viel tanzen, verspreche ich mir, und ein drink ist auch drin, armut hin oder her.

um mitternacht, als ich im bad stehe und meiner fresse den letzten schliff verpasse, plingt das handy. eine sms. kommt die drittefreundin, die eigentlich gerne dabei gewesen wäre, aber pärchensyndrombedingt beim unlustigen dritten auf der coach verweilen muss, nun etwa vielleicht doch noch? nein, es schreibt völlig überraschend das objekt, das schon seit zwei wochen nicht mehr mit mir gesprochen hat. eine "vorwarnung" wolle es mir geben, dass es heute da sein wird.

meine erste reaktion ist keine reaktion. in mir bleibt es kalt. erst, als ich auf dem weg zur bahn bin, macht sich leichte aufregung bemerkbar. wie soll ich dem objekt begegnen? das neue nichtverhältnis erlaubt keine extremreaktionen wie ohrfeigen oder vögelangebote. unschlüssig laufe ich durch die potthässliche hafencity. der wind pfeift, in hamburg ist im august herbst, und es wirft ein paar tropfen vom himmel.

am ort des geschehens bin ich erstmal erleichtert, als ich feststelle, dass es trotz schlechtwetters wie immer vier floors auf dem schiff gibt. man kann sich also verlaufen. ich stelle mich an deck und rauche eine. der architekt grüßt, dann zwei bekannte. ich fühle mich innerlich kalt und konversationsgelähmt. ein gin zum aufwärmen, dann geht es rein.

drinnen sind zu viele leute. angst. mir wird schwindelig, ich habe den eindruck, nicht mehr atmen zu können. ich quetsche mich in eine ecke. vor mich stellt sich eine fette lackuschi mit enormen titten. ich bin gefangen. ich versuche mich zu entspannen, sage mir, komm, einfach ruhig bleiben, keiner tut dir was, es ist genug sauerstoff für alle da und du wirst jetzt auch nicht ohnmächtig. nach einigen minuten lässt die angststarre wieder etwas nach und ich mache drei schritte, quetsche mich an der fetten lackuschi vorbei und will zur treppe. über die gerade das objekt nach unten kommt.

der erste impuls: flucht. ich verstecke mich schnell wieder hinten den titten der lackuschi und gehe auf beobachtungsposten. das objekt hat mich noch nicht entdeckt. verdammt, wie komme ich nun hier raus? ich erinnere mich an die hintertreppe hinter dem dj-pult, taste mich blind durch den nebel und nehme den schmalen gang. endlich kommt die treppe, und über einen weiteren floor, der angenehm leer ist, gelange ich wieder an die frische luft.

als ich wieder an deck bin, zittern mir die beine, mir ist schlecht und ich brauche dringend noch einen drink. aber an der bar ist zu viel los, ich kann mich nicht lösen und entscheide mich, einfach noch eine zu rauchen. als ich über die flamme meines feuerzeugs schaue, sehe ich schemenhaft einen roten schopf, dann umarmt mich ein durchgeschwitztes, nach alkohol riechendes objekt. im nächsten moment lässt es mich los, taumelt seitwärts und sackt gegen die reeling.
"ooooch... das war nix, nochhh... maaaa", lallt es und nimmt anlauf für eine zweite umarmung, der ich dann aber aus dem weg gehe. ich nehme das objekt scharf unter die lupe und komme zum schluss, dass es besoffener tut als es ist, um mir keine angriffsfläche für etwaige diskussionen zu bieten.
"tu mal nicht besoffener als du bist", sage ich kühl.
das objekt berappelt sich, lehnt sich neben mich und meint dann:
"ichhhab dir... vooohin... ne nachrichhh geschick."
"hab ich bekommen."
schweigen.
das objekt fummelt nach einer zigarette.
"unnn... warum bissdu heute hier?" fragt es mich die frage des abends.
"war verabredet."
"mim kerl?"
"nee, mit nem paar", sage ich wahrheitsgemäß und überlasse den rest der objektfantasie.
das objekt schweigt wieder, kaut an den spärlichen informationen, legt dann überschwänglich den arm um mich und schaut mir ins gesicht:
"unnn... wie gehts dir übahaup, sachma."
"willst du doch gar nicht wissen", sage ich bissiger als ich vorhatte.
das objekt zieht den arm wieder zurück. wir stehen schulter an schulter, ich kann die objektwärme weiterhin spüren und die verzweiflung, die in mir aufsteigt.

"weißte, ich bin heute so hierhergekomm... so mit ner ganssss... hohn schutzmaua ummich rumm", sagt das objekt, macht eine pause und fährt dann fort:
"aberssss.. geht so, ich... ich kann hier so eintauchn... mich fallen lassen."
"schön", sage ich indifferent.
"abbach bin auch schon gansss... schön breit."
"haste die schutzmauer weggesoffen also."
das objekt kichert:
"nee, ich sauf... hinter meina schutzmaua. weil... ohne die schutzmaua... würdmwa hi auch nich stehn... sondern so tun wie... teletubbies."
ich schaue das objekt kritisch an. aha, es würde also theoretisch gar nicht mit mir sprechen? kurz flammt wut auf, aber die kommt nicht richtig zur geltung. ich habe das gefühl, ein eisklotz zu werden, mich von innen nach außen hin durchzufreezen, bis ich eine ganz starre, unbewegliche und stumme figur geworden bin.
"ich bin dann mal drinnen", sage ich nach einigen minuten als stumme eisskulptur und lasse das objekt stehen.
ich kann auch desinteressiert tun, ha!

ich postiere mich neben der tanzfläche. zum tanzen fühle ich mich zu befangen. aber zugucken geht inzwischen halbwegs entspannt. ich habe auch einen zweiten drink ergattert und spüre die warme umarmung des alkohols. ich beginne, im takt zu wippen, als mich jemand von hinten fest um die taille fasst und eine harte gürtelschnalle an meinen po presst.
das objekt natürlich.
im ersten moment laufe ich gefahr, mich in die bewegung hineinfallen und mich ansexen zu lassen. doch dann rasten die brandneuen inneren widerstände zuverlässig ein und schließen den bereitwilligen spalt, den das objektive verführungsmanöver geöffnet hat. das objekt merkt das, gibt mir belustigt einen versöhnlichen klaps und lässt dann von mir ab. ich flüchte ein zweites mal.

ich bleibe an deck, rauche meine zippen leer und schaue auf die uhr. vier uhr. normalerweise nehme ich immer den sonnenaufgang mit, mein persönliches hightlight dieser party. denn nichts ist schöner als das zarte orange, das sich zu ambient-klängen langsam in den himmel schiebt, die kran- und containerlandschaft illuminiert und die elbe zum glitzern bringt. diesmal allerdings verspüre ich nicht geringste lust darauf, hier bis um sechs uhr morgens auszuharren. mein körper meldet müdigkeit und eine deutlich verlangsamte serotoninproduktion. hör auf deinen körper, sage ich mir, du hast noch einen ordentlichen fußmarsch vor dir, und wenn du total erschöpft an der bahn ankommst, wird die fahrt mit anderen besoffenen assis der totale horror für dich.

ich entscheide mich für die vernunft, hole meinen mantel und stehe dann unschlüssig auf der treppe. noch mal rein, dem objekt tschüß sagen? es hat dich nett begrüßt, also kannst du auch nett tschüß sagen, rate ich mir, du hast auch keinen grund, jetzt einen lächerlichen kleinkrieg anzufangen. ihr seid jetzt teletubbies, gewissermaßen, also sei artig und mach winke-winke. doch irgendeine trotzige stimme in mir sagt, nö, ich bin jetzt dran mit arschloch-sein. also stapfe ich ohne verabschiedung über die schmale brücke an land.

der nervenzusammenbruch kommt ungefähr fünf minuten später, kurz nachdem ich mir schon für meine coolness gratulieren wollte. an einer brücke bleibe ich stehen, sacke tränenblind zusammen und lehne am geländer. ich kann das kalte eisen an meinem rücken spüren, es bildet einen angenehmen kontrast zu der ungeheueren hitze im kopf und in der brust.

ich verliere jegliches zeitgefühl. ab und an fährt ein auto vorbei, doch sonst bin ich mutterseelenallein auf dieser brücke mitten in einer gigantischen baustelle. irgendwann habe ich mich leer und müde geweint, wische mir die tränen ab, putze mir die nase und rauche eine letzte zigarette. dann gehe ich weiter meinen weg. und kurz bevor ich richtung zentrum abbiege, bemerke ich, dass der erste helle morgenschimmer über der stadt liegt.