Sonntag, 10. August 2014
nadelöhr
party-versuch. ich tauche gutgelaut ins nachtleben, aber kaum bin ich unter leuten, schlägt die soziale lähmug zu. ich klebe in der ecke, sauge an einer zigarette und bin nicht in der lage, ein bier zu bestellen. los jetzt, du dumme kuh, sage ich mir, aber die dumme kuh will nicht vom eis.

aus der menge löst sich der architekt und grüßt mich. die soziale lähmung lässt nach einigen sätzen nach.
"wie findest dus heute", will der architekt wissen.
"nicht so pralle", sage ich. die lieder sind alle tausend mal gehört, die leute sind schrecklich besoffen oder schrecklich hässlich oder beides, und ich bereue es, den weg hierher gemacht zu haben.
"du warst aber schon länger nicht mehr hier", stellt der architekt fest.
"ich war sozusagen nicht in freiheit."
der architekt schmunzelt.
"klingt, als wärst du im knast gewesen."
"so ähnlich. psychiatrie. so richtig mit nicht rausdürfen und so."
"warum denn das?"
"ich habe ein bisschen zu überzeugt vorgehabt, mich aus diesem leben davonzumachen."
der architekt guckt und guckt und weiß offenbar nicht, was er sagen soll.
"du musst das jetzt nicht kommentieren", nehme ich ihm die verlegenheit.
"äh ja. menschen sind schon seltsam", sagt er dann.
"definitiv. und man steht als seltsamer auch immer auf verlorenem posten."

der architekt schweigt und nuckelt an seinem bier.
"ich würde ja gern mal wieder knutschen", sagt er dann.
"ich stehe nicht zur verfügung", sage ich lächelnd. "außerdem wär das langwilig, du hattest mich ja schon."
"das wäre jetzt meines erachtens kein hindernis."
"ich weiß. aber für mich schon. ich habs satt. ich will nicht so einen luftikus. ich will einen menschen, der mich für ein bisschen länger erträgt als für eine zufällige begegnung."
der architekt wiegt den kopf.
"verständlich."

wir lehnen an der wand und schauen in die menschenmenge.
"da ist heute aber auch nix, was man knutschen könnte", finde ich.
"mann oder frau, was meinst du?"
"beides. ich bin bi, ich hab immer den blick auf beides."
der architekt lächelt.
"menschen sind schon komisch", sagt er noch einmal, und dann:
"aber ich mag das."
"ich mag das nicht mehr so, obwohl es auch interessant ist."
"was meinst du?!"
"nunja, es zieht mich an. es ist nicht langweilig. aber gleichzeitig... mag ich nicht mehr. ich hab mich so von den menschen verabschiedet, großtenteils. obwohl ich vermutlich süchtig bin nach begegnungen."
der architekt schaut verwirrt.
"das ist ein krasser grenzgang. wenn es die ganze welt gibt voller menschen, für mich gibts nur ein nadelöhr. das ist unheimlich schwierig", sinniere ich.

der architekt gibt das verstehenwollen sichtlich auf und schnorrt ein zigarette.
"ich werde gleich gehen", kündige ich an.
der architekt nickt.
"obwohl du ja gerade erst gekommen bist."
"nicht mein abend", erwidere ich.
"kannst du mir einen gefallen tun", fragt der architekt noch, und ich denke, was für einen gefallen, und träume einen augenblick davon, dass er sagt, bitte bring dich nicht um.
"gibst du mir noch ein zigarette für später?"
ich muss lächeln, weil ich so absurd denke, und gebe dem architekten die ganze schachtel.
"da."
der architekt guckt wieder verwirrt.
"ist okay", sage ich.

dann gehe ich.
ohne mein nadelöhr gefunden zu haben.