Dienstag, 26. November 2013
winterjacke
nachdem mich die lederjacke gestern im tal der tränen erwischt hat, hat sie sich sofort für den heutigen abend auf einen kurzbesuch angekündigt. das finde ich so toll, dass ich gerührt ins telefon schnüffe, danke, und die lederjacke lacht nur und sagt, dass sie sich freut, was ich wieder nicht begreife, denn wie kann man sich auf so eine heulsuse freuen, aber ich vertraue der lederjacke, dass sie mich nicht belügt.

weil die lederjacke um die ecke fortbildung hat, holt sie mich gleich von der therapie ab.
"mann, siehst du scheiße aus", sagt sie zur begrüßung, und ich muss lächeln, weil ich recht hatte und mir um die ehrlichkeit der lederjacke keine sorgen machen muss.

die lederjacke ist allerdings selbst nicht auf der höhe. sie ist krank und fährt mit dem fahrrad im pullover rum.
"du bist ja komplett irrsinnig, wo hast du denn deine jacke?!"
"aufm kiez verloren", zuckt die lederjacke die schultern, die schon wieder breiter geworden sind.
"aber das macht nichts, ich hab drei kilo zugenommen, das schützt auch", erklärt die lederjacke.
"extra für den winter, soso", sage ich schmunzelnd, denn ich weiß, wie penibel die lederjacke auf ihr gewicht achtet.

wir fahren mit den rädern zu mir.
"wo ist das vieh?!" guckt sich die lederjacke panisch um, als sie meine wohnung betritt.
"du meinst die katze."
"ja, genau, deine fette katze, die mich immer anfaucht."
"musste schauen."

die püppirella sitzt wie immer auf der kommode und guckt, als die lederjacke die tür zu meinem wohnzimmer öffnet.
"na, dicki hoppenstedt", begrüßt die lederjacke die püppirella.
die katze glotzt groß.
dann komme ich mit tee und keksen hinterher und die katze macht anstalten, von der kommode zu springen. könnte ja ein krümel abfallen, muss man als katze ja bereit sein.
"oh gott, sie greift an!" ruft die lederjacke. "komm mir bloß nicht zu nahe!"

die püppilotta setzt sich genau gegenüber der lederjacke. im gegensatz zu sonst ist sie kein bisschen schüchtern. sie hat offenbar einen guten tag oder erkennt die lederjacke wieder. sie schaut sie auffordernd an und mauzt ein zartes mauzen.
"du sollst sie streicheln", sage ich.
"im leben nich", sagt die lederjacke. "die kratzt dann bestimmt."
die katze streckt sich vor der lederjacke auf dem boden aus und wälzt sich herum.
"glaub ich nicht", sage ich. "sie signalisiert dir gerade: nimm mich."
"hahaha", lacht die lederjacke.

dann kommen wir zu den ernsten themen und die lederjacke will wissen, warum es mir so scheiße geht.
"keine ahnung."
"das kann doch nicht sein, da muss es doch gründe geben. vielleicht sind das ja irgendwelche unbewussten gründe, also sachen, die dich anstrengen und belasten, ohne dass du direkt sagen kannst, das stresst mich jetzt total."
"naja, ich hatte nun die erste woche in der neuen arbeit..."
"na siehst du."
"aber das war gut."
"aber auch neu. alles, was neu ist, schlaucht."
"ich fand das nicht so schlimm. das ist nichts, was ich mir nicht zutraue. intellektuell pack ich das locker."
"naja, aber ist doch trotzdem eine umstellung", beharrt die lederjacke.

ich erzähle der lederjacke, wie allein ich mich wieder fühle. mit einem mal. und dass ich wieder anfange, böse absichten und unlauterkeiten zwischen jedem wort zu suchen. dass mich mein misstrauen krank macht.
die lederjacke, kopfmensch, rudert mit argumenten.
"naja, du musst mal deine lage sehen... im grunde ist die immer noch prekär... viel stress, keine sicherheiten, wenig dankbarkeit... wenig wertschätzung auch durch deine eltern... und klar bist du allein, so ohne partner oder familie. und da kommt ja auch keiner mal vorbei, hab ich so den eindruck."
"die hassen hamburg."
"aber du bist doch da und sie sollten dich lieben!"

"was sagt denn dein therapeut", will die lederjacke dann wissen.
"dem hab ich meinen traum erzählt. den krass schönen, mit dem typ und dem kind. aber ich hatte nicht das gefühl, dass er den so sieht wie ich."
"wie sieht er ihn denn?"
"naja, er meint, das mit dem kind und so steht für meine sehnsucht. weil ich liebe wahnsinnig suche, aber nie liebe erlebt habe, die ich annehmen konnte. sondern immer nur menschen begegnet bin, die mich erdrückt haben. er meinte heute, ich sei wohl deshalb emotional gestört."
die lederjacke ist empört.
"der spinnt ja wohl, das kann er doch so nicht sagen. ich finde, bei dir ist ganz viel total richtig."
"sagt der emotionslegastheniker."
und wir lachen beide.

nach zwei stunden muss die lederjacke schon wieder los. zum abschied nimmt sie mich ganz fest in den arm.
"lass mal in kontakt bleiben, wegen silvester und so."
"lass mich bloß nicht allein in dieser scheißstadt."
"warum bleibst du nicht bei deinen eltern? ich hab mir schon überlegt, ich setz mich einfach bei meiner oma auf die couch, trink nen portwein mit der und guck was mit didi hallervorden."
"nee. was soll ich denn da? da sind kaum mehr leute, die ich kenne."
"oder du bleibst im bett."
"oder ich schneide mir die pulsadern auf, wie wäre das?"
"wehe", sagt die lederjacke erschrocken.
ich winke ab:
"scherz."
"ich find das nicht witzig."
"schon gut. du musst jetzt los."
"boah, da raus in die kälte jetzt wieder."
"willste nen pulli von mir drunterziehen?"
"ich hab doch sowieso noch klamotten von dir. muss ich dir mal wiedergeben."
"kein stress, ja? und wenn du jetzt frierst, geb ich dir was."
aber die lederjacke will seine härte heldenhaft unter beweis stellen und der kälte trotzen.

die püppilotta und ich verabschieden die lederjacke. ich winke, die katze mauzt. die lederjacke lacht und verschwindet im treppenhaus.
in der wohnung kommt es mir wärmer vor. so, als wäre die temperatur mit der herzenswärme dieses menschen gestiegen. die katze schnüffelt da, wo die lederjacke gesessen hat.
"na, dicke", sage ich. "den würden wir gern behalten, hm?"