Donnerstag, 7. November 2013
wunschkonzert
"mit welchen gefühlen schauen sie auf ihren neuen job", fragt der therapeut.
"hm, eigentlich mit ganz guten", antworte ich erst, merke dann aber, dass etwas in mir zu wackeln beginnt. "also... ähm, ich meine, natürlich habe ich auch angst."
der therapeut nickt dem kaninchen, dass er mal wieder aus dem hut gezaubert hat, zu.
"definieren sie diese angst."
"ich habe angst, dass ich die anforderungen nicht erfüllen kann", sage ich. "weil mir in diesem bereich total die kontakte fehlen. dass es zu lange dauert, bis ich da wirklich drin bin und die mich kicken. ich habe auch angst, dass die eigentlich ne richtige beraterin wollen, aber die stelle als projektassistenz ausgeschrieben haben, um geld zu sparen. dann wäre ich wieder im dilemma des alten jobs: ein assistentengehalt für einen job mit führungsanspruch."
der therapeut nickt.
"und sonst?"
"naja, und sonst hab ich natürlich angst, dass die merken, wie verrückt ich bin."
jetzt lacht er.
"diese angst kann ich ihnen schon mal nehmen, die ist unbegründet."
"ich habe inzwischen das gefühl, dass es mir auf die stirn geschrieben steht: achtung, emotional instabil, nutzen sie gerne ihre gutmütigkeit aus, halten sie sich aber sonst fern von ihr!"
der therapeut schaut ernst und meint dann:
"also das problem sehe ich auch, dass sie sich vielleicht wieder übernehmen werden. gerade zusammengenommen mit ihrer versagensangst... da müssen sie klar bleiben und gut auf sich aufpassen."
ich seufze.
"eigentlich ist es ja bloß ein brötchenjob."
"aber sie entscheiden, wie hart das brot ist, das sie da essen werden. lassen sie sich nicht kirre machen, schon gar nicht von ihrem kindlichen leistungs-ich."

ich gucke skeptisch und abwartend.
"wünschen sie sich mal was."
"für den job?"
"muss nicht sein."
"muss es realistisch sein?"
"sie können sie ja was realistisches und was unrealistisches wünschen. solange sie wissen, was was ist."
"ich wünsche mir, dass ich bald einen menschen treffe, der das objekt endlich ausblendet."
der therapeut zieht die augenbrauen hoch.
"unrealistisch, oder?"
"kommt drauf an. das mit dem 'bald' ist vielleicht etwas zu viel verlangt. was soll der neue mensch denn konkret ausblenden?"
"diese enorme projektionsfläche für meine total dämliche liebe."
"möchten sie denn lieben?"
ich denke nach.
"wenn der oder die mich dann auch liebt..."
"das ist ein wichtiger knackpunkt, denn wir haben ja schon mal festgestellt, sie haben nichts zu verschenken. sie haben in diesem bereich schon immer zu wenig bekommen."
"ach, ich weiß auch nicht, dann will ich halt doch besser niemanden."
"nana", lächelt der therapeut. "jetzt malen sie aber ganz schwarz."
"ich glaub nicht dran."
"aber sie hoffen drauf. und das zermürbt sie."

ich beschließe zu schweigen.
"na kommen sie", motiviert mich der therapeut. "einen wunsch noch, wenigstens."
"gut", sage ich, "ich hätte gerne einen mann fürs grobe im haus. so eine art diener, der meinen ganzen kaputten scheiß reparieren kann."
"kaputter scheiß?"
"mein schrank bricht auseinander, das fenster ist undicht und es zieht und regnet dauernd rein und das waschbecken ist auch verstopft."
der therapeut lacht.
"das macht ihnen doch der vermieter, oder?"
"den schrank repariert der nicht!"
der therapeut schweigt.
"und meine katze soll endlich vermittelt werden, die fällt mir auf den wecker."
"sie waren doch so glücklich, die zu haben."
"aber die ist jetzt schon ein halbes jahr da."
"das mit dem 'nicht für immer' haben sie also auch bei tieren."
"ich hätte sehr gerne eine katze für immer. eine freundliche, verschmuste katze, die nicht ständig meine wohnung zerlegt und total aggressiv wird, wenn mich jemand besucht."
"und schon haben wir einen realistischen wunsch", freut sich der therapeut.
ich schnaube verächtlich.
"manchmal möchte ich auch ihren job machen."
"warum?"
"stell ich mir easy vor."
"sagen sie das nicht. wenn sie mal einen patienten mit psychose therapieren müssen, ist das kein kinderspiel."
"haben sie solche?"
"ja. sogar ganz junge. jugendliche oder studenten, die beispielsweise zu viel gekifft haben."
"ha!"
der therapeut grinst, weil er weiß, an wen ich denke.

"aber das leben ist nun mal kein wunschkonzert", sage ich frustriert.
"wünsche helfen aber, klar zu werden. auch unrealistische."
"ich werd drüber nachdenken."
ich stehe auf, schüttle meinem therapeuten die hand und gehe nach draußen, wo die sonne in die pfützen strahlt.