Sonntag, 22. September 2013
god is a dj
der gestrige abend verspricht tatsächlich schön zu werden. viele meiner freunde werden anwesend sein, sagt mir mein handy. unter anderem will auch die objektexfreundin mit ihrem neuen freund kommen. albern vor vorfreude schreiben wir schon den gesamten freitag hin und her.

dann ist es soweit. ich schlafe zwei stunden vor und stehe dann vor der schwierigen frage: soll ich oder soll ich nicht? ich hole die alte drogenkiste aus dem schrank und bin mal wieder ganz platt ob der schätze, die sich darin noch immer stapeln. mein speed sieht merkwürdig braun aus, zumindest das, was noch ultrapur in der tüte ist und das ich noch nicht mit stärke vermischt und in den kleinen partybehälter gefüllt hatte. vermutlich ist es feucht geworden. hm. andererseits werden amphetamine ja so schnell nicht schlecht. ich schnuppere dran, stippe den kleinen finger in das päckchen und reibe ein stäubchen ins zahnfleisch. es schmeckt wie immer.

während ich noch überlege, fällt mir auf, dass ich wach bin und dass es mir auszeichnet geht. ich muss über mich selbst lachen und packe die drogen wieder weg, mein gott, wie einfach, wenn keine notwendigkeit besteht. und wer weiß, ob es mir danach wirklich noch besser gegangen wäre als jetzt. zumal mit den medikamenten, mit denen drogen ja zum doppelt gefährlichen abenteuer werden. kurz blitzen erinnerungen durch mein gedächtnis, wie ich nach einer nase zuviel im bad ohnmächtig werde und erst um halb drei uhr nachts wieder zu mir komme, zittrig, mit stolperndem herzschlag und übelkeit, aber natürlich ziehe ich noch los, unvernunft ist mein name, lege vielleicht auf party sogar noch mal nach und kehre nicht vor zehn uhr vormittags zurück ins bett, für zwei stunden dämmerschlaf mit todesangst. der nackte wahnsinn.

das partyschiff hat diesmal woanders angelegt als sonst. ich irre eine weile durch die straßen am hafen, bis mir einige lack-und-leder-menschen auffallen, die eindeutig dasselbe ziel haben müssen wie ich. sie führen mich sicher an den richtigen ort. kaum bin ich an bord, winken mir schon freunde zu. das herz macht einen kleinen freudenhüpfer, dann liege ich meinen lieben in den armen.

die erste stunde bin ich mit reden und begrüßen beschäftigt und komme gar nicht von deck in die unteren räume, wo aufgelegt wird. irgendwann reiße ich mich dann doch los, weil ich ein klo brauche. drinnen ist es warm und stickig, im hinteren teil, wo die große elektro-area ist, drängen sich millionen gäste. durchkommen kaum möglich. schlange auch vor dem klo. ich mach es mir ein bisschen einfach, gehe aufs männerklo und gebe mir dort die schniedelparade an den pissoirs. als ich wieder rauskomme, treffe ich im schmalen gang einen bekannten.
"ach, die morphine! ich hab dich vorhin schon gesehen. du wirst gesucht."
"hi erstmal. wie was? gesucht?"
"ja, ich soll dich schön grüßen vom objekt und dir sagen, er ist im großen raum, also hier hinten, wo diese beeindruckende menschenansammlung ist."
"ach."
"kennst du den näher? was will er denn von dir?"
"wir hatten mal was."
"ich dachte immer, der sei schwul."
"bi."
"ach! echt?"
"jaja. ich kann das amtlich bezeugen, ich war schon aktives teil eines dreiers."
dem bekannten bleibt der mund offen stehen. ich grinse, tätschle seine schulter und schiebe mich weiter durch die menge.

obwohl es dunkel und so voll ist, entdecke ich den roten schopf sofort. das objekt hängt am treppengeländer und stemmt sich gegen die hereinströmenden massen. als es aufblickt, sieht es mich und streckt mir die hand entgegen. es zieht mich in eine kleine nische neben der treppe und umärmelt mich stürmisch.
"ich bin total stolz auf mich", schreit es gegen die musik an. "ich habe deine sachen dabei!"
ich bin beeindruckt.
"wahnsinn! und das nach nur acht monaten! aber glaub bloß nicht, dass ich den ganzen scheiß jetzt hier mit mir rumtrage."
"neinein. ist alles an der garderobe, ich bin ja nicht bescheuert."
"da bin ich mir manchmal nicht so sicher."
ich grinse frech. das objekt grinst zurück. und weil ihm die nische eine handbreit spielraum eröffnet, packt es mich, zieht mir den rock hoch und beginnt, mir den hintern zu versohlen. doch es gelingt mir, mich loszureißen, zurückzuschlagen und exakt das objektive gemächt zu treffen. das objekt geht in die knie und sinkt mit schmerzverzerrtem gesicht ans treppengeländer, während ich mich totlache.
"boah", sagt es, als es wieder sprechen kann, "der war gut."
"sorry", sage ich noch immer lachend.
"schon gut", sagt das objekt, "ein mann muss das abkönnen."
dann kichert es und fängt an zu jaulen:
"aber eigentlich bin ich ja heute ein kleines mädchen", und versucht, aus seinem grasgrünen drogenschleierblick kulleraugen zu machen.
"ach", sage ich versöhnlich, "wenn du schon sonst mein papa bist, dann bin ich eben heute mal die mama."
und breite versöhnlich die arme aus. das objekt kriecht hinein, drückt seinen feuchtheißen körper an meinen, schmiegt das gesicht an meine brüste und schnurrt wie meine katze. es ist breit wie ein eimer und riecht stark nach wodka.

doch das hauptinteresse an diesem abend gilt nicht mir.
"guckmal", nuschelt das objekt, "die da, die kleine, die würde ich heute gern kennenlernen. wenn ich keine freundin... also freundin" - es deutet gänsefüßchen mit den händen an - "hätte."
"dann lern sie doch kennen."
"nee, das geht doch nicht."
solche sätze kenne ich vom objekt gar nicht.
"schmeißt dich deine alte dann aus der wohnung oder wovor hast du schiss?"
das objekt schaut mich verletzt an und ich merke, dass ich einen wunden punkt berührt habe.
"nein! das kann die gar nicht! außerdem hab ich heute die offizielle flirterlaubnis."
ich schnaube verächtlich.
"das nennt man dann wohl die lange hundeleine."
"gar nich! gar keine... leine."
das objekt wendet den blick ab, schaut mich dann aber wieder flehentlich an und bettelt:
"apropos line... frau apotheker, sie haben doch immer was!"
"kannste knicken. ich bin clean."
"echt?"
"na hör mal, das war dir doch auch immer so wichtig."
"naja, heute find ich das zur abwechslung mal scheiße. ich muss heute die gedanken wegmachen."
ich schüttle nur den kopf und fühle eine mischung aus mitleid und schadenfreude in mir aufsteigen. so harmonisch scheint es in der objekt-wg wohl nicht zu laufen.
"dann... muss ich jetzt noch was trinken."

das objekt erhebt sich und stolpert zum tresen, während ich erstmals die tanzfläche stürme. ich treffe die objektexfreundin wieder.
"hast du schon gesehen, das objekt ist da", ruft sie mir zu.
"ja. wie immer total dicht."
"muss er selber wissen. ich bin so durch damit. wir haben tisch und bett geteilt und wirklich nüchtern war der eigentlich nie. und dann diese vielweiberei... aber wem sag ich das."
"naja, er hat ja jetzt ne vermieterin zur frau, die ihm sagt, was er tun und lassen darf."
die objektexfreundin kichert.
"am ende muss er sogar das geschirr spülen!"

gegen halb fünf wird es langsam leerer und die gäste ziehen sich vermehrt nach draußen zurück, wo man auf bänken sitzen kann. das objekt hängt immer noch im großen raum und hat zwei klappsessel ergattert, auf denen es sich lümmelt und raucht. ich geselle mich dazu.
"ich wusste gar nicht nicht, dass man hier drin rauchen darf."
"darf man auch nicht."
das objekt hat die augenlider halb geschlossen und beobachtet jede meiner bewegungen wie eine träge raubkatze.
"setz dich doch, mensch", sagt es und zieht mich in den sessel neben sich. es legt den arm um mich und sein gesicht kommt meinem immer näher. dann umschließen seine weichen lippen meine und das objekt speist mich mit rauch. während ich durch die nase ausatme, spüre seine zunge in meinem mund. es ist ein tiefer, etwas verzweifelter kuss, irgendwo zwischen wollen und nichtwollen, zwischen estutsogut und esistsovielpassiert. wir rutschen ineinander. die hände des objekts wandern die innenseiten meiner schenkel nach oben. ich merke, wie unser atem schneller wird und sich das blut in meinem unterleib sammelt.

"na? was wird das?"
wir fahren auseinander. über uns steht mein bekannter, der mir vorhin die grüße bestellt hat.
"wie ich sehe, ihr habt euch gefunden", grinst der bekannte breit.
das objekt grinst unverfroren zurück, während ich hastig meine kleidung ordne und die beine übereinanderschlage.
"ich wollte nur fragen, ob jemand mit rauchen kommt", sagt der bekannte.
"tabak oder auch was anderes?" fragt das objekt.
"was du willst."
"komm", zerrt mich das objekt hoch, "lassen wir uns doch mal überraschen, was der gute so an kräutern hat."

wir stehen an deck und kiffen. die security wirft uns einmal einen strengen blick zu, sagt aber nichts. das objekt schwankt heftig und kichert. nach zwei weiteren kurzen hängt es dann allerdings kreidebleich über der reeling.
"tut mir so leid, aber ich glaube, ich muss kotzen..."
es schaut mich an.
"geh nicht weg. du bist doch heute meine mami."
"ich geh nicht weg. du bist nicht der erste, dem ich beim kotzen den kopf halten muss", erwidere ich.

wir stehen an der reeling und schauen aufs wasser. das objekt bemüht sich, langsam zu atmen und den brechreiz unter kontrolle zu bekommen.
"ich bin so durch... ich bin einfach fertig... ich mag nicht mehr. ich glaube, in drei oder fünf jahren bin ich weg aus hamburg."
das sind ja mal ganz neue töne.
"und dann?"
"werde ich schweinezüchter in meckpomm."
"spitzenidee. lass uns doch besser nen puff eröffnen."
"geht nicht, das ist zu nah an der polnischen grenze. lass uns lieber ne bank machen."
"so wie ich dich kenne, vergisst du es, ne waffe mitzunehmen. oder du hast eine dabei und stellst in der bank fest, dass du vergessen hast, die patronen reinzutun."
das objekt schubst mich und grinst schon wieder ein bisschen.
"mama", sagt es zärtlich. "du kennst mich so gut."

kurz nach sechs gehen im ersten raum die lichter an.
"eigentlich würde ich nach hause wollen", sagt das objekt, "ich bin durchgetanzt, verschwitzt, mir ist schlecht und ich bin müde. außerdem muss ich in sieben stunden auf arbeit sein."
"dann hopphopp. gib mir meine sachen und hau ab."
"aber ich will ja gar nicht gehen."
ich seufze.
"musst du wissen. wenn dir jetzt schlecht ist, würde ich versuchen, so fix wie möglich noch eine mütze schlaf zu bekommen."
"aber es ist so schön hier."
"dann lass uns doch noch mal hoch an deck gehen. ich will auf jeden fall noch die sonne aufgehen sehen!"

dann sitzen wir auf einer bank.
"ich kann echt nicht mehr. ich hab noch nicht mal ein gesprächsthema für dich", sagt das objekt verzweifelt.
"musst du doch nicht."
das objekt rutscht näher an mich heran und legt die stirn auf meiner schulter ab.
"weißt du... ich bin jetzt schon ein halbes jahr oder so auf tauchstation."
"du bist schon immer auf tauchstation, solange ich dich kenne."
"ich versuch so sehr, dass ich das aushalte. diesen kompromiss. dass es das glück nicht gibt."
"warum so devot? warum solltest du einen kompromiss eingehen?"
"na hör mal, du machst den doch auch!"
"ja, bei der arbeit. ich weiß aber auch, dass ich da unter dem pantoffel meines vaters stehe, der mich nur an meiner leistung misst."
"das ist seine art von fürsorge."
"ich scheiß auf seine art von fürsorge."
"morphine, sei doch nicht so hart."
"warum nicht? DU beklagst dich über den kompromiss. ich geh wenigstens in anderen lebensbereichen keinen ein. ich sortiere freundschaften rigoros aus, ich habe erst vor einer woche meine beziehung beendet."
"du hattest ne beziehung?"
"naja, war eher so ein versuch. aber ich komm mit dem typ im bett nicht klar. und auch sonst ist der langweilig."
"man kann halt nicht alles haben."
"was für ein saublöder spruch! gerade von jemandem wie dir, der so viel wert auf guten sex legt!"
"naja, hast schon recht, wenn der sex mies ist, dann geht das nicht. hast alles richtig gemacht."
ich betrachte das objekt nachdenklich.
"du hast dich verändert. du machst hier einen groß auf kompromiss und kannst ihn gleichzeitig nicht halten. du triffst eine frau, die du kennenlernen willst und verkneifst es dir widerwillig. du knutschst und fummelst mit mir, obwohl du eigentlich nur eine flirterlaubnis hast. ich glaube, du gehst bald unter, wenn du so weitermachst."
"kannst schon recht haben."
das objekt starrt müde aufs wasser.

die sonne geht auf. der himmel ist grau-blau und bedeckt, aber dort, wo die sonne über den horizont kriecht, zeigt sich unverkennbar ein rosaroter schimmer.
"da, schau! sonnenaufgang!"
ich stupse das objekt an.
"der war auch schon mal besser."
"das ist eben ein kompromiss-sonnenaufgang!"
jetzt muss das objekt doch lachen.
"dann können wir ja endlich los, oder?"

das objekt muss noch zur garderobe, seine und meine sachen holen. als wir von deck gehen, streckt mir das objekt mein bündel entgegen.
"hier. ich hoffe, das ist alles. wie gesagt, ich glaube, ich hab nicht mehr alles gefunden. ich hab von meinem zeug noch einiges dazugepackt."
ich nehme das bündel an mich, schaue dem objekt in die augen und sage:
"tja, das war´s dann. dann biste mich hiermit los."
das objekt schaut zu seite und stöhnt.
"sag doch das nicht. sag doch... ach, ich weiß doch auch nicht."
"es hängt alles von dir ab."

das objekt schweigt, dreht hastig eine zigarette, zündet sie an und schmeißt sie wieder weg.
"wo ist denn jetzt eigentlich hier die bahn? oder bist du mit dem rad?"
"ich bin auch mit der bahn da."
"dann komm."

wir laufen durch die hafencity. es wird tag. an der bahn angekommen, stellt das objekt fest, dass es jetzt eigentlich doch noch nicht nach hause will. also setzen wir uns an einer brücke auf den asphalt. das objekt rutscht an mich heran.
"stinke ich eigentlich?"
"nö. kein bisschen. du riechst sogar gut. nach deinem parfum."
"echt? cool. magst du das parfum?"
"ja."
"das ist gar kein normales, das ist so eine creme mit orangenöl... warte mal..."
das objekt kramt in seiner tasche. zum vorschein kommen handtücher und klamotten.
"was hast du denn alles dabei?"
"ich war noch schwimmen."
"ach so."
dann hat das objekt die kleine dose gefunden.
"komm her."
in zärtlichen kleinen kreisen verteilt das objekt parfum auf meinem hals und meinem dekolleté.
"und wenn du dann ein bisschen schwitzt, dann verteilt sich der duft bis hierher", flüstert das objekt und bewegt den finger langsam zwischen meine brüste.
ich muss kichern.
"sag mal, tun deine eier eigentlich noch weh?"
"geht schon wieder."
"na, unter anderen umständen hätte ich ja angeboten, ein bisschen zu blasen."
das objekt kriegt ein sexy glitzern in den augen und küsst mich abermals.

dann wanken wir doch zur bahn.
"ich weiß gar nicht, wo ich hinmuss."
das objekt steht an der karte und sucht sein zuhause.
"irgendwo da."
"dann fahren wir jetzt zum bahnhof und dann nimmst du da diese linie und ich muss dann sowieso woanders hin."
"cool."

in der bahn schläft das objekt in meinen armen ein. am bahnhof wecke ich es und manövriere es auf den richtigen bahnsteig. die bahn wartet schon.
"so, hier musst du gleich rein."
"ja dann..."
"komm gut nachhause."
das objekt lacht bitter.
"du auch", sagt es dann umso zärtlicher.
"bis irgendwann mal."

dann drehe ich mich um und gehe.
in einem stummen tornado der emotionen.