Mittwoch, 22. Mai 2013
dritter streich - against the shitstorm of life
nachdem ich den pfingstsonntag in mittellosigkeit verbracht habe, klingelt das telefon und die lederjacke ist dran. da ich deprimiert klinge, fragt sie nach, was sich seit samstagnacht so ereignet hat. ich erzähle zunächst die objektgeschichte in lederjackenfreundlichen auszügen und komme dann bei meiner finanzmisere an.
"wie viel brauchst du denn?" will die lederjacke wissen.
"naja... ich muss irgendwie durch die woche kommen..."
"sag einfach eine summe und ich leih sie dir."

die lederjacke hat mein loyalitätsprinzip verstanden: in der not sind freunde einander unbedingt verpflichtet.
"n fuffi?", frage ich zaghaft.
"das ist doch lächerlich", findet die lederjacke. "ich geb dir 100, okay?"
"hast du denn dann noch genug für den monat?"
"ich hab jetzt ziemlich genau noch... warte mal..." die lederjacke macht kassensturz, um dann bedröppelt zu sagen:
"öhem, 200 euro."
"dann kannst du mir unmöglich die hälfte davon leihen!"
"hör mal, du hast mir auch geholfen. sehr sogar."
"nee, nee. also wir machen das wenn dann jetzt so: du gibst mir jetzt deine kontoverbindung und ich überweise dir was, was du mir dann auszahlst."
die lederjacke lässt es sich nicht anmerken, aber ich kann die erleichterung spüren, die durch den hörer tropft.
"ja, das ist prima!"

wir machen rasch die transaktion, dann fragt die lederjacke:
"magst du gleich vorbeikommen?"
"klar. es regnet zwar, aber ich brauche ja meine kohle."
"ich mach nen tee, okay?"
"auja. hast du noch kippen?"
"tabak."
"magst du mir eine drehen, bis ich da bin?"
"klar doch", sagt der gentleman.
ich merke, dass ich mich wahnsinnig freue.
"bis gleich dann... und dank dir!"
"jetzt hör aber auf!" kontert die lederjacke.

ich radle durch den regen und komme klatschnass an. als ich unter der tür stehe, beäugt mich die lederjacke misstrauisch und guckt dann sehr erleichtert, weil ich schuhe und jacke schon im flur ausziehe. ich grinse verständnisvoll. in sachen sauberkeit sind die lederjacke und ich uns unglaublich ähnlich.
"du siehst lustig aus", findet die lederjacke.
"ich knutsch dich gleich, dann siehst du auch lustig aus", erwidere ich.

die lederjacke lacht und schubst mich dann mit tee und wolldecke in den händen in die gute stube.
ich setze mich und schaue der lederjacke ins gesicht.
"jetzt erzähl mal, wie war der umzug gestern?"
"umzug war okay. nur dann hab ich was getrunken und mich total mit meinem bruder gestritten."
"oha."
"ja, ich war total assig zu dem, und dabei hat der doch liebeskummer!"
"naja, aber der muss ja auch sehen, was du fürn stress hast. der anstrengende behördenjob, die schulden wegen deinem bafög und dem studienkredit und dann der umzug! du hast da auch ein päckchen zu tragen..."
"das sieht der nicht, der ist ja auch erst 24."
"naja, gut, er ist halt noch jung... aber ich finde, man merkt es dir total an, unter was für ner spannung du stehst."
"du schon. der nicht."
"aber du machst dir jetzt trotzdem vorwürfe, was? so als der älteste bruder vom ganzen clan?"
"klar."
"unklar. hast du mal drüber nachgedacht, was du dir damit für ne rolle auflastest?"
die lederjacke ist ganz still geworden.
"vielleicht hat das ja auch was mit deinen schlafproblemen zu tun."
"ich hab keine schlafprobleme! also nicht immer", wehrt die lederjacke ab.
"wenn du mal nicht besoffen bist, dann haste immer welche", analysiere ich messerscharf.
"naja, hast ja recht", gibt die lederjacke zu, um dann gleich einen plan zu machen:
"aber jetzt bist du ja da und dann trinken wir nur tee und sonst höchstens ein bier. du bist ne super suchtprävention."
"jaja, aber nur, weil du meine drogen nicht magst!" lache ich.

nachdem wir eine weile herumgesessen sind, steht die lederjacke auf, kramt in den kisten und holt dann drei antike bilder hervor.
"die wollte ich noch aufhängen, hilfst du mir?"
"klar doch. was soll ich machen?"
"halt die mal an die wand da! aber gerade!"
"aye-aye."

während ich mich mit bild an der wand langmache, steht die lederjacke unter der tür und guckt.
"bisschen runter... ja... nee, auch mit der linken kante... nee, jetzt biste rechts zu weit oben!" dirigiert sie mich, bis es dann endlich passt und die lederjacke sich mit hammer und nagel bewaffnet ans werk macht. dann hängen die drei bilder, die, wie ich erfahre, der lederjacken-großvater alle selbst gemacht hat, mit linolschnitt und anderem kladderadatsch.

"manchmal hätte ich gern damals gelebt", träumt die lederjacke vor sich hin.
"im krieg?"
"naja, weniger, aber so die zeit danach... wie geil muss das sein, wenn du in einer zeit großwirst, in der es immer nur bergauf geht!"
"hm."
die lederjacke schaut mich aufmerksam an:
"du magst dein leben doch auch nicht. das ist doch die totale kacke, in der wir leben!"
"hm", sage ich wieder.
"warum machen wir das dann?" fragt die lederjacke.
"weil wir uns schuldig fühlen?" mutmaße ich. "weil wir unsere eltern nicht enttäuschen wollen? weil uns jemand dieses haus-garten-kind-schema eingetrichtert hat?"
"na, wenigstens haben wir kein beschissenes haus und keine kinder!" schmunzelt die lederjacke und lehnt sich lächelnd gegen den fensterrahmen.
was für ein hübscher mann, denke ich, und dann sage ich es einfach, und die lederjacke grinst geschmeichelt.

danach fahren wir mit dem aufzug in den 13. stock und entern die dachterrasse. oben hängt alles voller nebel, aber wir schnappen uns dennoch zwei klappstühle, drehen zigaretten, rauchen kette und diskutieren bis spät, warum alles vielleicht doch nicht ganz so kacke ist wie es sich oftmals anfühlt.