Mittwoch, 25. November 2015
sich betten
hat irgendjemand zufällig schlichte weiße bettwäsche in standardgröße übrig, die er nicht mehr haben mag und die er gern für einen kleinen obolus loswerden möchte? gern antikes zeugs aus großmutters zeiten. muss auch nicht mehr top sein.

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Sonntag, 22. November 2015
dunkle tage
als ich die wohnung betrete und mich die lederjacke in die arme nimmt, bin ich ein bisschen erschrocken. abgekämpft und schmal sieht sie aus, die breiten schultern hängen.

"was ist los mit dir, bist du krank?" will ich wissen. "oder stressen dich die stiftungen wegen deiner diss?"
"komm erstmal rein", sagt die lederjacke und geht in die küche.
"magste nen tee oder lieber was hochprozentiges?" ruft sie in den flur, wo ich gerade jacke und schuhe ablege.
"gerne beides!"

dann sitzen wir am küchentisch, quarzen, vor uns die dampfenden becher tee und auf meiner seite ein glas whiskey-cola.
"trinkst du gar nicht?"
die lederjacke schüttelt den kopf:
"ich muss jetzt klar bleiben, ich muss so viel organisieren."
"was denn organisieren?"
die lederjacke schaut mich müde an und meint dann:
"mein bruder ist tot."
"hä?!" ich reiße die augen auf. "welcher denn?"
"der lütte."
"dein lieblingsbruder?"
"ja."

ich kenne den kleinen lederjackenbruder, der, anders als die vier anderen harten jungs, ein kleiner, runder, sehr lieber typ war. ich bin perplex und überlege.
"magst du drüber reden?" frage ich vorsichtig. "ich meine, natürlich bin ich neugierig, aber ich möchte nicht, dass du jetzt zum vermutlich wiederholten male denselben garn spinnst und dich quälst."
"ich erzähls dir, weil du eine gute freundin bist", meint die lederjacke erschöpft. "außerdem weiß ich, dass du keine blöden fragen stellst und nicht diese mitleidstour abziehst."
"dann schieß mal los. war er krank?"
"nee. der wurde... überfallen."
"what?!"
"ja, vor zwei wochen."
"vor zwei wochen?!"
"naja, gestorben ist er erst am freitag."

mir wird eiskalt und ich nehme den heißen tee in die hände. dann erzählt die lederjacke die schrecklichen details.
"die mordkommission ist da jetzt dran", schließt sie ihren traurigen bericht. "die haben auch schon einen verdächtigen geschnappt. mir ist das ja egal, das macht den kleinen auch nicht mehr lebendig. aber für meine eltern ist das superwichtig."
"ja, das glaube ich. wie verkraften die das so?"
"die sind unfassbar tapfer. vor allem meine mutter."
"deine eltern sind ja auch cool", sage ich.
"ja, mit denen konnte man schon immer gut reden und diskutieren, die sind nicht dumm. und das hilft jetzt natürlich, weil sie ja auch nicht hier wohnen. ich telefoniere ganz viel mit denen."
"haben die den kleinen noch mal sehen dürfen?"
"ja, die waren natürlich da, als er in der klinik war. die haben das auch echt gut gemacht, die ärzte und die pfleger. der sah eigentlich aus wie immer, nur halt im koma."
"mensch."
"du musst dazu nichts sagen", meint die lederjacke.
"ich sag auch nichts dazu", erwidere ich. "von blöden beleidsbekundungen haste ja nix."

dann schweigen wir eine weile.
"das sind die schwersten tage meines lebens", sagt die lederjacke und ihre stimme wird ganz rau. "damit... rechnet man ja irgendwie nicht. der kleine war ja jetzt auch nicht irgendwo im sozialen brennpunkt unterwegs. du kennst die gegend, das ist alles gutbürgerlich da."
"ja. da ist eigentlich alles etepetete."
die lederjacke schließt die augen und lehnt sich zurück.
"naja, und nächste woche ist dann die scheißbeerdigung. mir graut so davor. vor allem, weil dann da die ganzen dämlichen leute mit ihren betroffenheitsfressen rumstehen und zum x-ten male die blutigen details hören wollen."
"dann sag denen, dass du nicht darüber reden willst. dazu hast du jedes recht."
"und die verfickte presse wird wahrscheinlich auch wieder da sein. die waren ja auch schon hier. die sind ja wie die geier, die sensationsgeilen arschlöcher. wollten mich sogar erpressen, indem sie behauptet haben, sie wüssten schon das ein oder andere. zum glück waren gerade meine anderen brüder hier und, naja, du kennst die schränke ja... dann sind die idioten wieder abgehauen."
"scheiß leichenfledderer. pass bloß auf, dass die nicht an deine eltern rankommen."
"ich hab meine eltern schon vorgewarnt."
"gut so."

das handy der lederjacke klingelt.
"meine mutter", sagt sie zu mir und verschwindet kurz nach nebenan. ich höre sie reden, erst ruhig, dann immer genervter.

"alles gut", frage ich, als die lederjacke wieder in die küche kommt.
"die dreht total am rad wegen dem leichenschmaus."
"nimms ihr nicht übel. das ist eine bewältigungsstrategie."
"wie meinste?"
"naja, aktionismus. je mehr du dich in organisatorisches reinsteigerst, desto weniger musst du dich mit deinem schmerz konfrontieren."
"kannste recht haben. ich hab wahnsinnige angst, dass meine mutter auf der beerdigung zusammenklappt."
ich lege der lederjacke den arm um die schulter.
"dann lass sie. das muss dann auch mal raus."
"ich hoffe, ich halte das aus."
"auch du musst das nicht aushalten. wenn du heulen musst, dann heul. pack dir nicht so viel verantwortung auf die schultern. das seelenheil deiner mutter hängt nicht alleine an dir."
die lederjacke schmunzelt und eine strähne fällt in ihr hübsches gesicht.
"du weißt, ich bin da nicht so gut drin."

ich beschließe, dass die lederjacke nun ablenkung braucht und schmeiße einen film rein. der plan geht auf. die lederjacke lacht einige male und wirkt am ende um einiges entspannter.
"was für ein cooler streifen. der hätte meinem bruder auch gefallen."
"siehste mal. und solange man an jemanden denkt und sich an das schöne mit ihm erinnert, ist derjenige auch nicht wirklich tot."
die lederjacke schaut mich an:
"das hast du gut gesagt. so versuche ich das auch zu sehen. ich will dankbar sein für die wunderbaren momente, die wir hatten."
"das ist ein guter weg, denke ich. er wird nicht in jedem moment funktionieren, aber.... das ist vielleicht so eine gesunde haltung, zu der du immer wieder zurückkehren kannst."
"danke auf jeden fall, dass du da warst", sagt die lederjacke.
"ich hab zu danken. und wenn du mich brauchst, weißt du, wo du mich findest. jederzeit."
wir nehmen uns noch einmal in die arme, dann stapfe ich die treppen nach unten.

draußen riecht die kalte nachtluft nach kommendem schnee. noch ein monat, dann ist weihnachten. egal wie traurig man ist, die welt dreht sich weiter.

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Freitag, 20. November 2015
aus aktuellem anlass: nolympia!
liebe hamburgerinnen und hamburger,

sicherlich ist ihnen die informationsreduzierte, fast schon manipulative werbeflut ihrer heimatstadt zu olympia aufgefallen. die pläne von olympia folgen dem aktuellen politischen kurs unserer prestigegeilen und immer stärker antisozial agierenden stadt.

bevor sie sich sagen, "och, son büsschen sport ist doch nett" und ihr kreuzchen vorschnell an der falschen stelle machen, führen sie sich bitte zu gemüte:

- 11,2 milliarden euro werden verschwendet. geld, das für schulen und hochschulen, gesundheit, umweltschutz und soziales dringend gebraucht würde. darüber hinaus klaffen finanzielle lücken in milliardenhöhe angesichts der angeschlagenen hsh nordbank und der flüchtlingsproblematik.
- die mieten werden explodieren, weitere stadtgebiete werden der gentrifizierung zum opfer fallen. das zeigen analysen der städte, in denen olympia bereit stattgefunden hat.
- der verkehr wird zusammenbrechen. sogenannte "fast lanes" blockieren dann ohnehin schon überlastete straßen.
- die veranstaltung ist eine einzige einladung für terroristen.

lassen sie sich nicht verarschen. sagen sie NEIN zu olympia. sagen sie: #nolympia!
spread the word!

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Sonntag, 15. November 2015
thinking about paris
"weißte, woran man einfach gestrickte menschen erkennt?" fragt mich heute der werte herr gibson.
"weiß nicht, etwa daran, dass sie sich für die preise von dunstabzugshauben bei norma interessieren?"
"nee. daran, dass sie ihr profilbild bei fressenbuch in die tricolore ändern."

bei dem flugzeugunglück vor wenigen wochen kamen über 200 passagiere ums leben. aber das war eben in russland. keine kondolenzbekundungen. keine facebook-profile in russischer beflaggung. warum? weil die abgestürzten passagiere keine zeit mehr hatten, unterhaltsame horror-handyvideos zu drehen? oder weil russland erstmal in ruhe die ursachen untersuchen wollte und nicht gleich "terror, terror" rief?

ich habe mich für ein wenig pervers gehalten, weil mich das attentat in paris relativ kalt ließ. klar, die opfer. die hat es unschuldig getroffen, und mein mitgefühl gilt allen angehörigen. aber imperialismus hat seinen preis. wer in ein fremdes land einfällt und islamisch geprägten lebenswelten westliche werte aufdrücken will, verhält sich respektlos gegenüber den dort herrschenden kulturen. dass man sich dann wundert, wenn einem das irgendwann um die ohren fliegt, ist naiv.

verstehen sie mich nicht falsch. ich heiße die attentate keineswegs gut. aber sie sind für mich weder überraschend noch unlogisch. und ich sehe europa nicht nur als opfer. demokratie muss gewollt sein. demokratie verbreitet sich nicht, indem man ein land mit krieg überzieht und seine jahrtausende alten gesellschaftssysteme zerstört, weil man sie persönlich nicht gutheißt. es gibt keinen "guten" krieg. jeder "befreierkrieg" ist zunächst mal das, was er ist: krieg. er bringt gewalt. er bringt tod und leid. ebenso wie waffenlieferungen.

die frage, die zudem als unbeantwortet gelten muss, ist bis zur endgültigen klärung: wer waren die täter tatsächlich und was waren ihre motive? der is würde es sich auch auf die fahnen schreiben, wenn in china ein sack umfällt - propaganda nach dem prinzip ochsenfrosch. die besonnenheit, die russland bei der aufklärung der ursachen des flugzeugabsturzes an den tag legte, sollte für europa jetzt ein vorbild sein. jegliche emotionalität in diesen tagen wird den falschen in die hände spielen, zum beispiel pegida, nazi-pöblern und der csu. radikalität wird niemals die lösung sein. sonst haben wir bald wirklich krieg. und zwar überall.

was das betrifft, habe ich die tage mehr angst vor europa als um europa.

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Samstag, 14. November 2015
studenten von morgen
anekdoten aus dem leben als teilzeit-mentorin.

mein aktueller kandidat ist ein typ anfang 20, der bereits ein studium begonnen und geschmissen hat. er trägt eine grüne haremshose, trotz der spätherbstlichen temperaturen jesuslatschen sowie einen spärlichen kräuselbart, der ihm fast bis in den schritt reicht und in kürze vermutlich mit seinen sackhaaren verwachsen wird. passend dazu hängen unter seinem jutemützchen lange dreads hervor wie die tentakel eines toten oktopus. all das würde mir kein unbehagen verursachen, wären da nicht dieser abwesende blick, sein gehibbel und die laufende nase.

"hey, sie machen ja sowas mit erneuerbaren energien, nä?" fragt er mich schniefend zur begrüßung.
"in welche richtung solls denn gehen", will ich erstmal wissen.
"naja, sowas mit... mit umwelt, denk ich."
"umweltingenieurwesen", frage ich.
"ja, sowas."
"okay dann..." ich referiere ein wenig über studium und berufsbild und versuche dabei angestrengt, den immer wieder abschweifenden blick einzufangen, während ich mich frage, warum in aller welt man so brezelbreit zu einem beratungsgespräch aufschlägt anstatt selbiges einfach abzusagen.

"geht das auch so mit weniger mathe?" unterbricht mich der typ irgendwann.
"mathe sollten sie schon draufhaben", meine ich.
der typ schaut mir zum ersten mal in die augen, sehr nervös, und bekennt dann, dass mathe "nicht so sein ding" sei.
"dann würde ich mir an ihrer stelle überlegen, ob ich gewillt bin, mir mathe draufzuschaffen, oder ob etwas anderes, mathefreies mir mehr liegt", sage ich.
"ja, halt sowas mit umwelt", meint der typ wieder.
"was verstehen sie konkret darunter? welches studium im bereich umwelt interessiert sie denn? umweltrecht? umweltmanagement? agrarwissenschaften?" versuche ich nachzuforschen.
der typ zuckt die schultern:
"ich dachte, das können sie mir sagen."

meine lieblingskandidaten. der einfachheit halber gebe ich ihm alle broschüren mit, die ich vorrätig habe, und die er dann ohne ein weiteres wort oder einen dank unter seinen spackligen ärmchen davonschleppt. dabei hätte ich ja noch einen heißen tipp für seine berufliche zukunft mit irgendwas mit umwelt gehabt: eine ausbildung als müllsortierer beim gelben sack.

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