Montag, 27. Juli 2015
[andersblogger]
ich kann durch meine glasglocke in eine andere sehen.
dort ist es ähnlich tief.
tief und schön.

es ist ein seltener, seltsamer trost in diesem anderen blog. ein nachhausekommen in den worten. fast so, als hätte man familie.

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*
die nächte haben ihren glanz verloren wie ein schopf, der langsam ergraut.

wir starren auf die geschlossenen pforten des himmels und wundern uns, ob es dahinter jemals etwas gab. die erinnerung liegt brach.

wir ziehen mit den anderen übriggebliebenen, tagelöhnern, taugenichtsen durch ein land, das uns keine heimat ist, an das wir jeden glauben verloren haben.

das einzige ziel: weiterträumen dürfen.

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Samstag, 25. Juli 2015
prinzip hoffnung
in hh träume ich ständig von n. und habe heimweh. in n. dann kann ich es gar nicht erwarten, endlich wieder wegzukommen. und zurück im norden fällt mir hh in weniger als 24 stunden derart enorm auf den wecker, dass ich den eindruck habe, es nicht eine minute länger auszuhalten.

schon als kind habe ich immer meine flucht geplant. hatte eine tasche, in der ich wichtige bücher und ein paar lebensmittel wie knäckebrot und zwieback lagerte, damit ich bei der nächstbesten gelegenheit auf und davon konnte. an den tagen, an denen beide eltern arbeiteten, fuhr ich mit dem fahrrad umher und suchte mir regensichere verstecke.

besonders weit habe ich meine flucht nie gedacht. ich war kein mutiges kind. ich besaß nicht einmal den funken dreistigkeit, schwarz u-bahn zu fahren. so kommt man natürlich nicht weit. nur in mir selbst war ich unerreichbar und sicher.

bis heute ist in mir meine einzige zuflucht. es ist eine kleine, dunkle höhle, in der man sich zusammenkauern und dem bombardement von reizen entfliehen kann. in manchen momenten verändert sich dieser ort, wenn da hoffnung oder ein noch uneingelöstes versprechen ist, oder aber ein mensch, dessen zuneigung ich hinterherhecheln kann. dann wird er schön - schöner als die wirklichkeit. mit dem objekt beispielsweise war er das.

immer, wenn so etwas in mir entsteht, möchte ich die zeit anhalten. die realität einfrieren, damit die voraussetzungen für die schönheit meiner zuflucht nicht vergehen. vielleicht bin ich deshalb nicht das, was man zupackend nennt, wenn es um mein leben geht. denn selbst die sich nicht erfüllende hoffnung ist mir lieber als die wirklichkeit.

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Mittwoch, 22. Juli 2015
staatsfeindin nummer eins
im flieger. die letzten minuten vor abflug.
ich simse mit der lederjacke.

ich: "du, da vor mir sitzt ein bundestagsabgeordneter! sag mir mal schnell, wie der sterben soll!"
lederjacke: "lass die finger von dem!"
ich: "ey, lederjacke! das ist eine einmalige gelegenheit! soll ich ihm was ins getränk schütten? oder ihn auf dem klo in seiner eigenen pisse ersäufen?"
lederjacke: "die sau soll sich an sich selbst vergiften!"

tod durch politische selbstvergiftung, genial und einfach. so hätten wir eine merkel, einen gabriel und noch so ein paar probleme weniger.

die lederjacke ist eben ein kluges köpfchen.

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Montag, 20. Juli 2015
die weisheit der fußpflegerin
ich sitze mit einem alten bekannten, seines zeichens dj, im café. es ist mal wieder sauheiß - wie auch in den letzten tagen.

wir schlürfen frappés und schauen uns an.
"scheiß schwül heute", sage ich.
"wenn ich deine brüste sehe, wird mir gleich noch heißer", sagt der alte bekannte, um sich dann zu entschuldigen: "je höher die temperaturen, desto flacher die witze, sorry."
"ich bin ganz gern mal draußen", sage ich, "meine eltern haben das komplette haus abgeschottet. drinnen ist es absolut dunkel. das hält man kaum aus."
"jaja, die werden immer seltsamer im alter."
"die sind aber erst 66."
"okay, das ist noch recht jung. aber sei froh, mein vater ist letzten januar gestorben."
"was hatte er denn?"
"krebs. er hatte die wahl, noch ein paar jahre mit chemo oder ein paar monate ohne."
"und?"
"erst hatte er keinen bock, dann hat er aber doch die chemo angefangen. aber wieder abgebrochen, weil er sie nicht vertragen hat."
"das passiert manchmal."
"bullshit. der sollte keine milchprodukte essen während der chemo. hat er eisern geschworen. aber dann hab ich gemerkt, er macht milch in den kaffee und auch ins müsli. weil sich das so gehört, hat er gesagt, als ich ihn drauf angesprochen habe, oder ob ich wolle, dass er sein müsli mit wasser frisst. keine chance, bei so viel sturheit kann man sich den mund fusslig reden."

"oh mann. und dann?"
"hatte er noch ein paar mal chemo und hat dann aufgegeben. danach hat er ne lungenentzündung gekriegt. im krankenhaus haben sie ihn total blöde mit antibiotikum vollgestopft. damit er dann gesund stirbt, weißte."
"hatte er keine patientenverfügung oder sowas?"
"doch, aber die war veraltet. zum glück hatten wir einen coolen arzt, der das antibiotikum nach ein paar tagen doch abgesetzt hat. am nächsten morgen war mein vater dann tot."
"keine schöne geschichte."
"das schlimmste war meine mutter. am abend, als die das antibiotikum abgesetzt haben, haben sie extra das zimmer freigeräumt und ein bett für meine mutter reingestellt, damit sie bei meinem vater bleiben kann. und was macht die blöde kuh? besteht total hysterisch drauf, dass sie nach hause muss, wäsche waschen."
"vielleicht wollte sies nicht wahrhaben, dass es so schnell geht."
"total realitätsfern! aber so ist die immer! vor ein paar monaten hab ich ihr mal erklärt, dass sie geistig verkalkt, wenn sie sich nicht bemüht, ab und an auch mal was neues zu machen. hat sie mich total blöde angemacht, war ich mal wieder der arsch. eine woche später erzählt sie mir ganz stolz, dass ihr die fußpflegerin erklärt hat, dass man nicht so schnell dement wird, wenn man auch im alter immer wieder dazulernt und neues erlebt. jetzt macht sie sudoku und findet das total cool."
"du bist ja auch nur das dumme kind", grinse ich. "du hast doch keine ahnung!"
"so wirds sein..."

wir schauen eine weile in unsere schmelzenden frappés.
"werden wir auch mal so?" fragt mein bekannter.
"bestimmt", sage ich. "nur setze ich keine kinder in die welt, die dann antidepressiva brauchen, um das und den ganzen schäbigen rest auszuhalten."
"ich auch nicht."
"will deine freundin denn nicht? frauen wollen doch immer was zum eidideidi-duziduzidu."
"nö, wir sind da ganz entspannt."
"wie lange seid ihr nun schon zusammen?"
"sieben jahre."
"und wie isses so?"
"naja, aufregend ist das nicht. man kennt alles am anderen. alles ist vertraut. aber es ist auch toll. neulich beispielsweise, da ist meine freundin auf eine tagung gefahren und hat vorher noch eingekauft, nur für mich, nur so sachen, die ich mag, damit ich das dann habe, wenn sie nicht da ist. das war schön."
"das ist nicht schön, das ist normal", sage ich. "ich kauf mir auch sachen, die ich mag, dafür brauch ich keinen typ, der mich mästet und der mich am ende noch anmeckert: das hab ich extra für dich gekauft, und du freust dich ja gar nicht!"
mein bekannter schaut mich an:
"und wie lebst du so?"
"naja, ich hab so drei, vier typen und ab und an mal eine tussi. aber nur so zum ficken."
der bekannte grinst breit und ich kann das kopfkino hinter seiner stirn sehen.
"das ist aber weniger spannend, als du jetzt vielleicht denkst. also mir ist das wirklich egal, ob ich mir jetzt nen film allein reinziehe oder ob jemand von denen zum vögeln antanzt."
"boah, das ist arrogant", sagt mein bekannter. "warum machst dus dann?"
"naja, ich hab halt auch bedürfnisse. und manchmal will ich halt auch ein bisschen haut, nicht nur nen vibrator."
"und sonst so? zur selbstbestätigung?"
"ja, sicher, auch."
"aber das ist doch arm."
"klar isses das. aber guck mal. ich bin da in hamburg relativ allein. keine familie, keinen partner, nur eine kleine gruppe häufig wechselnder freunde. auch keinen job, der mich happy macht. ich kann noch nicht mal sagen, dass ich mich ja wenigstens an guter gesundheit erfreue, was viele gern mal sagen, wenns in ihrem leben gerade bergab geht. mein körper ist ziemlich kaputt, ich habe ständig schmerzen. ich hänge seit sieben jahren in derselben talsohle und alles, was ich noch tun kann für mein glück, ist, menschen weitgehend aus meinem leben rauszuhalten, damit sie mir nicht mehr wehtun können."
der bekannte schaut mich betroffen an.
"okay, da wird mir mal wieder bewusst, auf welch hohen roß ich so sitze. nimms mir nicht übel."
"quatsch, warum denn. aber bitte kein mitleid, ja? davon kann ich mir auch nix kaufen."

"und was willst du machen?"
"naja, das wichtigste ist erstmal ein neuer job. ich such seit anderthalb jahren wie bekloppt, aber ich vermute mal, dass es nicht funktioniert, wenn man so verbissen rangeht wie ich. gleichzeitig versuch ich, eine neue richtung einzuschlagen. noch mal studieren."
"das klingt doch gut."
"ohne erfolg bislang. ich hab dem arbeitsamt schon die türen eingerannt, aber da ich überqualifiziert bin, krieg ich überhaupt keine förderungen oder so. ich kann mich eigentlich kaum verändern. die warten, bis ich so krank bin, dass ich nur noch hartzen gehen kann. das ist billiger für die, weißte."
"unfassbar! und was ist mit deinen eltern?"
"wenn ich hierher zurückkomme, finanzieren sie mir ne eigentumswohnung."
"na klasse. und wenn du woanders arbeiten willst?"
"dann nicht."
"die haben verstanden, was du brauchst, hm?" grinst mein bekannter.
"keine sorge, ich lass mich nicht erpressen."
"hätt ich dir auch nicht geraten."

es rollt ein gewitter heran und wir zahlen schnell.
"was machst du jetzt noch?" fragt mein bekannter.
"erstmal zurück nach hause."
"ich geh noch ein bisschen ins studio, musik machen."
"viel spaß."
"werd ich haben. war schön, dich mal wieder zu sehen."
"war ja lange genug her", lächle ich.
"zwei jahre? drei jahre?"
"so um den dreh."
"egal, wenn du mal was brauchst, schreib mir."
"mach ich, danke. gilt umgekehrt natürlich auch."
"bis dann!"
"bis bald mal wieder!"

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Mittwoch, 15. Juli 2015
komm in den garten
so ein leben, so einen garten wie meine eltern hab ich nie gewollt. ordentlich beschnippelte büsche. farblich abgestimmte blümchen. rollrasen wie aus dem magazin.

jedes stückchen freiheit wird hier zunichte gemacht von maschendrahtzaun und grenzsteinen und den strengen blicken der nachbarn.

mittendrin nun ich. mit gartenschlauch. das derzeit einzig greifbare irgendwie schwanzartige ding in meinem umfeld. ich spritze auf die welke flora ab und lach mir einen ast.

am wegesrand neben der garage ein gänseblümchen, das, wenn meine eltern wieder zurückkommen, sicherlich ausgerupft und auf den kompost geworfen wird. es hat rosa blütenblattspitzen, die, wie man uns als kinder erzählte, der herr jesus geküsst habe.

in diesem totvertikuliertem park jedoch nutzt so ein kuss einen scheiß. denn hier ist nichts heilig.

dennoch bleibe ich noch ein weilchen stehen. die erde dampft mir warm entgegen. ein verwirrter schmetterling schüttelt die flügel. am horizont versinkt die sonne.

und aus das licht.

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