Donnerstag, 2. April 2015
frei
die ruhe, die sich über mich stülpt wie ein warmer handschuh. wie der hauch eines vertrauten dufts. wie das verheißungsvolle sirren in der luft, das mir flüstert: alles wird gut.

es gibt sie, die guten tage. die guten menschen.

manchmal macht die welt eine versöhnliche geste. nichts außergewöhnliches, nichts, was mein leben verändert. aber sie sagt mir in diesem moment: eigentlich ist doch alles in ordnung. eigentlich ist es doch alles ganz einfach.

und: chill mal.
du musst nicht immer jagen.
manchmal genügt es, sich zurückzulehnen.
mal die anderen machen lassen.

have a litte faith.

mach ich, liebe welt, sage ich. sechs tage auszeit, viereinhalb davon in der heimat.

treiben lassen. easy. awesome.
und atmen.

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Dienstag, 31. März 2015
lob der strenge
nach nunmehr sechs tagen erziele ich mit katerchen erste lernerfolge. er weiß nun, dass der erhobene zeigefinger nichts gutes bedeutet, ebenso zeigt ihm ein eindeutiges pfeifen, dass er dies oder jenes sofort zu unterlassen hat, bevor das stief-frauchen sehr ungemütlich wird.

heute konnte ich zum ersten mal in seiner anwesenheit essen. nur viermal in ca. einer viertelstunde hat er die grenze überschritten, kam auf den tisch gesprungen und tauchte seine nase ins essen. also gepackt, vom tisch geworfen, und noch mal und noch mal, bis endlich ruhe war. konsequent sein ist ja alles in der katzenerziehung. danach konnte ich zu ende essen und bemerkte gleich darauf, dass auch die kleine ratte am futtern war. am eigenen napf. da schien also ein groschen gefallen zu sein.

damit er sich nicht so schrecklich langweilt, habe ich ihm kleine tütchen mit leckerlis drin gebastelt, die er aufkriegen kann, wenn er neben roher gewalt auch brain einsetzt. als ich aus der arbeit kam, waren alle noch verschlossen. ergo musste ich bei ihm doch leider mehr auf die körperlichen denn auf die geistigen kräfte setzen.

im augenblick spielt er "kratzbaum-rammbock". dafür nimmt er anlauf und schmeißt sich - vorderpfoten voran - volle kanone gegen den kratzbaum wie gegen einen eindringling, den es niederzuringen gilt. vermutlich würde der racker auch einbrecher so behandeln, was mich schon mal theoretisch beruhigt.

weitere news aus dem morphine-zoo folgen alsbald. stay tuned.

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Montag, 30. März 2015
psychomotorische unruhe
extrem unangenehm, wenn so ein innerlicher spannungszustand nach außen will. als kind/jugendliche hab ich immer die hände aneinander gerieben oder mit den füßen getrippelt oder an den nägeln gekaut. hat meine eltern irre gemacht. andere kinder haben gelacht.

leptin-mangel, hab ich nun gelesen.

gibts den scheiß irgendwo zu kaufen?

ich brauch endlich nen vernünftigen neurologen, der nicht nur psychpharmazeutische neuheiten an mir austestet.

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mausefalle
"ach", sagte die maus, "die welt wird enger mit jedem tag. zuerst war sie so breit, dass ich angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der ferne mauern sah, aber diese langen mauern eilten so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten zimmer bin, und dort im winkel steht die falle, in die ich laufe."

"du musst nur die laufrichtung ändern", sagte die katze - und fraß sie.

(franz kafka)

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Sonntag, 29. März 2015
stigma
"hast du manchmal auch so gedanken", will der dr.-ing wissen, als wir uns heute sehen und uns zunächst über das flugzeug-unglück unterhalten.
"das sind doch alles nur vermutungen", sage ich. "der absturz muss doch gar nichts mit der depression zu tun gehabt zu haben. wenn du mal einen schlechten tag hast, fährst du dann beispielsweise deswegen auf der autobahn amok?"

der dr.-ing schaut mich an und ich merke schon: die voreingenommenheit vernagelt sein hirn für alle rationalen argumente. wieder mal bestätigt sich mein eindruck, dass kognitiv hochintelligente menschen oft emotional vollkommen verblödet sind.

also entscheide ich mich zum frontal-angriff:
"na gut, also wenn du schon so direkt fragst: nein, ich verspüre nicht das leiseste bedürfnis, mich in einer fluguniform in ein cockpit zu mogeln und dann als kamikaze-fliegerin die elbphilharmonie oder so zu rammen. aber manchmal stelle ich mir vor, dass ich untreue ehemänner mit meiner nagelschere kastriere."
der dr.-ing versucht sich in einem lächeln, das jedoch etwas verunglückt. beim anschließenden vögeln ist er merklich nicht ganz bei der sache. gedanklich positioniere ich den dr.-ing auf meiner abschussrampe.

hinterher bin ich allerdings aufgewühlt und denke über das gespräch nach. plötzlich fällt mir ein, dass das flugzeug-unglück einen bleibenden effekt haben könnte: die weiterführende stigmatisierung psychisch kranker.

als offiziell irrer soll man ja immer hübsch zu seinen leiden stehen. psychische erkrankungen seien keine schande, heißt es, depression kann jeden treffen - sie kennen ja den belanglos-oberflächlichen blubb, den die pharmakonzerne überall abdrucken. trotzdem funktioniert das nicht. einen krebskranken würde man bedauern. psychisch kranken begegnet man mit misstrauen: ist der auch leistungsfähig? verhält der sich möglicherweise peinlich? sieht er nicht doch gaga aus? und jetzt, ganz neu: rastet der vielleicht aus und bringt sich und andere um?

als ich frisch meine diagnose hatte, war ich so naiv zu glauben, ich könne offen damit umgehen. weil ich ja ein intelligenter mensch bin und unter anderem auf arbeit schon jahrelang meine kompetenz bewiesen hatte. meine chefin hörte sich das alles an, bedauerte - und legte mir die kündigung auf den tisch. mein arzt, der mich in der klinik behandelte, sagte mir daraufhin, dass es klüger sei, im job niemandem davon zu erzählen. ich hielt dagegen: wenn man gegen stigmatisierung kämpfen wolle, müsse man doch offenheit beweisen. der arzt zuckte die schultern und meinte, ich sei nicht in der verfassung, meinen kopf hinzuhalten. wenn dann sollte ich lieber freunde und familie einweihen.

womit er natürlich recht hatte. und auch wieder nicht. denn die reaktionen meiner mitmenschen, die ich einweihte, erweckten in den kommenden tagen und wochen bei mir den eindruck, vollkommen alleine auf der welt zu sein. nach zwei jahren war das objekt der einzige mensch in der stadt, dem ich noch vertraute.

für mich selbst gäbe es theoretisch nur eine konsequenz: nie wieder irgendjemandem ein sterbenswörtchen erzählen. immer hübsch lachen und wenn man tränen in den augen hat, eine allergie vortäuschen. keinem menschen vertrauen. nie. unter keinen umständen. praktisch macht mich das allerdings aggressiv. ich bin ein offener mensch. ich habe keine lust, mich verstellen zu müssen. trotzdem tue ich es viel zu oft. selbstgewählte isolation, um keine gesellschaftliche isolation fürchten zu müssen. auf jeden fall aber isolation und damit den garantieschein auf einen fortschreitenden abwärtsstrudel. ganz einfach, weil isolation per se nicht happy macht und nichts mit mal-schön-seine-ruhe-haben zu tun hat.

gegen die symptome der erkrankung gibt es pillen. gegen das stigma nicht. eine gesellschaft kann man nicht therapieren, solange die mediale darstellung von psychischen erkrankungen dazu führt, dass man angst vor uns hat.

vielleicht ging es dem copiloten ja ähnlich und das stigma seiner erkrankung wuchs ihm über den kopf. wir wissen es nicht. und deshalb sollten wir auch nichts glauben, was einige medien in ihrem pseudopsychologischen leichenfledderei-wahn schreiben. die würde des menschen ist unantastbar. das gilt auch für psychisch kranke.

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Samstag, 28. März 2015
innere und äußere freiheit
ein krieger, der zur inneren freiheit gelangt ist, hat die vollständige freiheit nicht erreicht. dazu bedarf es auch einer freien mitmenschlichen gemeinschaft. sobald er erkennt, daß die freiheit der gemeinschait durch die ichhaftigkeit ihrer mitglieder beeinträchtigt wird, ist er von sich aus bestrebt, den anderen zur inneren freiheit zu verhelfen, um damit auch die äußere freiheit wachsen zu lassen.

ein krieger versucht also, über die innere evolution des bewußtseins seiner mitmenschen zur vollständigen freiheit zu gelangen, und nicht über die revolution innerlich und äußerlich unfreier massen, die, im gegensatz zu ihrem ziel, die unfreiheit nur vergrößert. ein krieger geht also nicht den weg des mönches in die einsamkeit, er lebt in zwei welten und weist seinen mitmenschen den weg zur inneren freiheit, den aber jeder allein gehen muß. aber wenn viele diesen weg gehen, entsteht eine konspiration (...), d.h. ein zusammenatmen der krieger, die zwar äußerlich getrennt, aber innerlich vereint, die freiheit einatmen.


(paul tholey)

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