Mittwoch, 5. August 2015
ein teil von mir wird dich immer lieben.
als ich zum verabredeten ort fahre, bin ich aufgeregt und zittrig. das objekt ist schon da und stellt gerade das rad ab. ich wähle die andere straßenseite, um mir noch einige sekunden zu geben. das objekt schaut mir beim absperren meines fahrrads zu. es wirkt auf den ersten blick offen und freundlich, so wie ich es kenne.

als wir uns gegenüberstehen, sind wir verlegen. wie soll ich das objekt begrüßen? das objekt macht eine komische geste und streckt mir dabei die hand hin. als ich sie nehme - diese warme, weiche, sommersprossige hand, die mich so gut gekannt hat - zieht es mich an sich und umarmt mich. nicht ganz in objekt-bärenmanier, aber nah dran.

dann suchen wir uns einen platz am teich, weit weg von anderen menschen.
"na, ohne bh unterwegs" fragt das objekt lächelnd und schaut mir auf die titten.
"hm", sage ich. "viel zu warm und unbequem."
ich fummle eine kippe aus der packung, das objekt holt seinen tabak heraus und dreht sich ebenfalls eine. dann paffen wir angespannt und schauen eine weile aufs wasser.

"ich fang einfach mal an", sage ich irgendwann, "ich werde dir alles chronologisch und aus meiner perspektive erzählen. vielleicht möchtest du erstmal einfach zuhören, aber du kannst natürlich auch einhaken."
das kommt selbstbewusst rüber und ich merke, wie mir respekt vonseiten des objekts entgegenschlägt.
ich beginne mit dem langsamen zerfall unserer freundschaft im herbst des letzten jahres, erwähne auch noch einmal den vertrauensmissbrauch in sachen urlaub und komme dann auf den großen crash im dezember zu sprechen.
"ich habe mich mit der gespielin in verbindung gesetzt, auch wenn ich wusste, dann ist es vorbei. aber ich hatte nicht mehr den eindruck, dass ich dir irgendeine form von loyalität schulde. das war alles weg. das war rückblickend ein fehler, und es tut mir leid, weil es kein faires ende war. aber ich hatte das vertrauen nicht mehr."

"ich wusste ja gar nichts", setzt das objekt an. "ich hatte nur eine vollkommen veränderte frau zuhause, und das mitten in einer zeit, die ohnehin beziehungstechnisch eine eiszeit war. ich hatte mich eingeigelt, war unglücklich und unzufrieden, wollte weg. ich hab wochenlang gerätselt, was eigentlich passiert war."
"interessant", sage ich. "b. sagte mir damals, die gespielin habe das unbedingt und sofort mit dir besprechen wollen."
"sie hat nichts gesagt. gar nichts. ich hatte mitbekommen, dass irgendwas rausgekommen war, aber mehr informationen hatte ich nicht. ich hätte was darum gegeben, welche zu haben."
ich muss innerlich den kopf schütteln:
"warum hast du denn nicht gefragt? warum bist du nie zu mir gekommen und hast gesagt, verdammt morphine, was soll denn der scheiß?"
das objekt schweigt und denkt nach, sagt dann:
"ich habe deine nachricht an die gespielin gelesen."

wir starren beide aufs wasser.
"das wars so für mich, weißte? du kannst nicht mit der frau gemeinsame sache machen, mit deren freund du was hast."
"ich hab dir erklärt, warum."
"darum gehts nicht, du musst dich auch nicht entschuldigen bei mir. ich kanns sogar nachvollziehen. verdammt, ich hätte an deiner stelle auch nicht gewusst, wie ich mich richtig verhalte, wenn man in der situation überhaupt von richtig oder falsch sprechen kann, ich glaube nämlich, da gabs es sowas nicht. du hast nach deinem gefühl und deiner überzeugung gehandelt. ich kann dich verstehen, vielleicht wärs mir ähnlich gegangen."

ich starre auf die ente, die einen vergeblichen flugversuch startet, aber von den tiefhängenden weiden abgehalten wird.
"ich war so unglücklich damals", setzt das objekt wieder an. "ich wollte auf und davon. eine kalte frau zuhause, in der arbeit stand ich kurz vor der kündigung. ich wollte weglaufen, wie immer, kennst mich ja, alle paar jahre eine neue stadt und ein neuer job. hab mich aber dann entschieden, zu bleiben. einfach, weil ich mich trotzdem irgendwie rational betrachtet wohlfühle. weil mir klar geworden ist, ich klage vom hohen ross. so die probleme auf arbeit, die ich habe - andere würden mich auslachen. ich habe mir nun vorgenommen, ich will noch fünf jahre hier bleiben - für meinen sohn, bis er mich nicht mehr braucht, und dann will ich noch mal aufbrechen. so mit der aussicht kann ich überleben."

"und so, auf uns bezogen?"
das objekt schaut weg.
"emotional gesehen... du versetzt mich in schwingung. das meine ich nicht sexuell, sondern so von deiner art her. die unterhaltungen mit dir, das hat mir so viel gegeben und ich.... vermisse das so. ich hab mich so wiedergefunden in dir. und ja, natürlich bist du attraktiv für mich."
das objekt schenkt mir einen scheuen seitenblick und blinzelt.
"rational aber möchte ich dir sagen, dass ich, obwohl ich dir sehr positiv gegenüberstehe, es erstmal so belassen möchte. die ambivalenz, die du in mir ausgelöst hast... ich bin einfach froh, die im moment nicht zu haben."
sieh mal einer an, da ging es ja dem objekt genau wie mir!
"ich vermisse auch das, was wir hatten", sage ich, und vermeide sehr bewusst zu sagen, ich vermisse dich. "aber es tut gut, nicht mehr auf dich zu warten."

das objekt schaut weiterhin stur weg und blinzelt wieder. ich bemerke schockiert, dass es feuchte augen hat.
"es ist traurig", sagt es, und dann, ganz leise: "ich bin sehr traurig deswegen."
ich bleibe stumm, überlege, ob ich das objekt berühren soll, untersage es mir dann aber. das objekt wischt sich kurz über die augen, sammelt sich und lächelt dann zögerlich:
"heute so... nach dem ich dich angerufen hatte... ich stand unter der dusche, weil ich ja noch zeit hatte... ich war so aufgeregt."
"ich auch", sage ich.
wir lächeln einander an, dann huscht wieder ein schatten über das objektgesicht. es wendet den blick ab, beugt sich vornüber und schaut gen boden.

ich sage leise:
"aber ist doch gut, dass wir uns heute hier getroffen haben."
das objekt schaut kurz auf, kaut auf den wangen und sagt, scherzhaft aggressiv:
"soll ich das jetzt etwa bestätigen?"
ich lächle entspannt:
"ja. natürlich."
"ich könnte ja auch sagen, du bist ne blöde kuh und ich hasse dich."
"das würde ich dir aber nicht abkaufen."
das objekt vergräbt das gesicht in den händen:
"was soll ich denn sagen? ja - es war gut. es war schön. sehr schön sogar."
wieder schaut es weg. ich merke, wie bewegt es ist.

"ich muss los", sagt das objekt auf einmal.
"wieso das denn?"
"muss in die klinik."
flucht. wie immer flüchtet sich das objekt.
"dass du immer flüchten musst", sage ich, "schon allein deswegen hättest du dir nie sorgen machen müssen, dass ich eine beziehung mit dir will."
das objekt schaut mich durchdringend an:
"ich hatte eine beziehung mit dir. genauso, wie ich mit der gespielin eine habe. da gab es emotional keine unterschiede für mich."
"du hast dich nicht so verhalten", beharre ich.
"ja, verdammt... was soll ich sagen... die gespielin und diese gemeinsame wohnung, das ist mir passiert wie mein sohn. ich hab dann einfach ja gesagt."
"du liebst mich aber nicht", sage ich.
"morphine..." das objekt setzt an und bricht wieder ab.
"du liebst mich nicht", wiederhole ich.
"morphine! das ist meine art zu sein, und ich habe gemerkt, dass du damit nicht klarkommst... ich habe deine sehnsucht immer gespürt, und ich habe es gehasst, dir wehzutun, indem ich unzuverlässig und unloyal war. ich bin dir nicht genug. niemandem. bins nie gewesen."
"ich mach dir deswegen keinen vorwurf", sage ich ganz ruhig.

das objekt packt seine sachen zusammen und steht dann auf:
"nächste woche hab ich drei wochen urlaub."
"und was machst du schönes?"
"ich fahr mit meinem sohn zu meinen eltern."
mit gespielin? oder ohne? ich bin neugierig, traue mich aber nicht zu fragen.
"drei wochen mit den eltern, das ist aber doch ein romantikkiller", sage ich, als nähme ich selbstverständlich an, dass die gespielin mitfahre.
das objekt schaut mich nur komisch von der seite an und sagt nichts.

wir gehen langsam zu den rädern zurück.
"morphine...", beginnt das objekt und verstummt, denkt nach, und setzt noch mal an:
"morphine, ich würde mir was wünschen."
"was denn?"
"dass wir es jetzt erstmal so lassen."
"ja doch."
"aber wenn wir uns mal begegnen sollten, dann.... soll es nicht mehr so eisig sein zwischen uns. mögen die gespräche wiederkommen."
"wenn dir nach geprächen ist... meine nummer haste. vielleicht schicke ich dir auch irgendwann mal eine nachricht."
das objekt schaut zu boden.
"ich hab mein handy nicht mehr."
"dann schick ich dir ne e-mail."
das objekt schüttelt den kopf.
"du kannst mich nicht erreichen."
da verstehe ich, dass es lügt. es hat angst davor, dass alles wieder anfängt.
"du hast schiss vor deinen gefühlen", sage ich.
das objekt zuckt mit den achseln.
"wenn man das so nennen will..."

das objekt ist aber schon beim nächsten gedanken.
"und noch was muss ich dir sagen."
"was denn?"
"wenn du jemals aufhörst zu schreiben, dann bekommst du es mit mir zu tun."
und zum ersten mal stehe ich vor der frage, ob das objekt dieses blog kennt.
ich lächle, schaue zur seite, sage nichts. wenn dem so ist, auch gut. ich habe keine geheimnisse mehr seit heute.

wir stehen uns eine gefühlte ewigkeit gegenüber, dann nimmt mich das objekt in die arme. ich spüre den zwiespalt aus verhaltenheit und vertrautheit und das emotionsknäul, das das objekt umgibt, während ich mich klar fühle, ruhig und ein bisschen traurig. das objekt hat so große angst. aber du kannst keine hand halten, die dich loslässt.

"ciao", flüstere ich.
"machs gut", sagt das objekt.
dann fährt jeder davon.
in eine andere richtung.

dennoch, ein teil von mir wird dich immer lieben.

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