Sonntag, 15. Februar 2015
samstagsmaler
seit gestern erstrahlen küche, bad und flur in neuem weiß - der lederjacke sei dank.

ich habe die lederjacke schon lange nicht mehr gesehen. als sie zur tür hereinkommt und die jacke ablegt, sehe ich, dass sich ihr oberarmvolumen schätzungsweise verdoppelt hat.
"boah, hast du arme!" sage ich anerkennend und die lederjacke grinst sehr geschmeichelt:
"deshalb mach ich auch wieder die decken, ja? ich brauch das, ich kann ja heute nicht mehr trainieren gehen."

die lederjacke pellt sich bis auf den calvin-klein-schlüpper aus den klamotten und steigt in einen blaumann. ich grinse, und die lederjacke weiß, dass sie mit dem feuer spielt. dann greifen wir zu pinsel und rolle.
"wie gehts dir denn so, alles stabil bei dir?" will die lederjacke wissen.
"ja, so lala", sage ich. "nachdem ich jetzt vom objekt weg bin, gehts mir im schnitt ganz gut. und dir?"
"ich hab ein promotionsangebot!" platzt die lederjacke stolz wie bolle raus.
"neeeeeeiiiiinn... wie cool ist das denn?!"

wie immer ist das glück eine frage von beziehungen. über die kollegin einer kollegin hat die lederjacke zugang zu einem forschungsprojekt an der uni bekommen.
"wenn das klappt, krieg ich ein stipendium und vielleicht sogar ne halbe stelle!"
"das heißt, es ist dann schluss mit arbeiten beim amt?"
"ja. vorbei, endgültig. ich hab das so satt, da die armut unserer antisozialen stadt zu verwalten... weißte, den leuten kommt ja keine echte hilfe zu. ich hab 80 fälle oder so, das sind nur nummern, die du durchpeitschen musst und bei denen du hoffst, dass es keine komplikationen gibt, weil das alles sonst zu viel zeit kosten würde. das fucking amt baut ja nur stellen ab, alle mitarbeiter sind total überlastet, deswegen sind auch ständig welche krank... ganz ganz üble mühle, sag ich dir. mit sozialstaat hat das überhaupt nichts mehr zu tun. lieber obdachlos als abhängig von uns, das würde ich jedem raten."

die lederjacke ist immer noch systemkritisch und engagiert, das mag ich so an ihr. als wir mit dem anstrich durch sind, sitzen wir im wohnzimmer, quarzen und trinken meine wodka-vorräte.
"geht heute eigentlich irgendwo was? wollen wir noch in den club?" fragt die lederjacke.
"der club ist tot", sage ich.
"achja, stimmt, habe ich gelesen. warst du auf der abschluss-fete?"
"ja. saucooler abend. scooter war auch da."
"yeah", sagt die lederjacke, schmeißt rebel yell in die playlist und dreht die boxen bis zum anschlag auf.

"wir können aber noch woanders hingehen", sagte ich dann, "heute ist auch noch ne andere party."
"auja", ist die lederjacke schnell entschlossen, weil sie den richtigen pegel hat und in fahrt kommt.
"ich muss aber noch mal nachhause, ich hab nix anzuziehen mit."
"tust du mir einen gefallen", sage ich.
"wasn?"
"zieh deine lederjacke an."
die lederjacke grinst und macht sich dann auf.
"wir sehen uns in einer stunde da!"
"bis dann. und tüdel nicht rum."

als ich eine stunde später von der u-bahn hochlaufe, kommt mir die lederjacke aus der richtung zob entgegen. perfektes timing.
"du hast echt deine lederjacke an", stelle ich fest.
"na, wenn du dir das wünschst."
wir stehen in der garderobenschlange.
"mann, ist hier viel los!", findet die lederjacke.
"ist eine der größten partys dieser sorte."
"wahnsinn. und wow, kann das sein, das da vorne der sänger von project pitchfork läuft?"
ich zucke die achseln:
"der ist öfter mal da."
"wie cool."

die lederjacke ist ganz aufgeregt und braucht erstmal ein bier, und dann gleich noch eins:
"cool, ist das cool hier, ich muss tanzen gehen!"
"ja, aber warte mal, ich zeig dir erstmal die verschiedenen floors hier. und wo wir uns treffen können, wenn wir uns nicht mehr finden sollten."
"wie viele stockwerke sind das?"
"nur zwei. und dann gibts noch eine area, die ist im hintergebäude ausgelagert, aber die hat heute zu."
"schweinerei!"
"tröste dich, die mucke wäre dir eh zu hart."
die lederjacke schaut mich empört an und schubst mich.
"na gut, dann nehm ich dich jetzt mit in die elektro-hölle oben", sage ich.

wider erwarten findet die lederjacke auch diese area cool, tanzt und singt "hyper hyper" gegen den krach ab, während ich mich totlache.
"wen hast du denn heute dabei?", spricht mich die barfrau aus dem club, die heute auch da ist, an.
"das ist nur ein kumpel, wir haben vorhin zusammen meine wohung gestrichen."
"mit dem würde ich auch gern wohnungen streichen", kichert die barfrau.
"soll ich euch mal vorstellen?"
doch nicht nötig, die lederjacke kommt angeschossen und stellt sich selbst vor.

wir gehen in den raucherraum. die lederjacke ist immer noch voll auf dem scooter-trip und singt singt und rappt abwechselnd. der mann der barfrau kommt hinzu, guckt sich die szene kurz an, rollt bedeutungsvoll die augen und geht dann wieder.
"schatzi, jetzt sei mal nicht so, hol uns lieber was zu trinken", ruft ihm seine frau nach.

nach einer weiteren whiskey cola beginnt meine welt sich zu drehen. die lederjacke unterhält sich eifrig mit der barfrau und ihrem mann. mein freund v. schaut auch kurz vorbei. im gegensatz zu mir ist er frisch verknallt.
"geh weg, ich kann heute keine verliebten menschen sehen", sage ich.
aber v. lacht nur und drückt mich. das ist das charmante an verliebten: diese realitätsresistenz.

da ich um acht uhr morgens aufgestanden bin, meine wohnung ausgeräumt und anschließend mit streichen beschäftigt war, bin ich gegen drei ziemlich müde.
"meine füße tun weh", sage ich zur lederjacke.
"ich bin auch schon recht angetrunken", meinte die lederjacke. "vielleicht sollten wir nach hause."
ich sehe die lederjacke an, die normalerweise ab einem gewissen pegel kein ende findet.
"du willst nach hause, bist du krank?"
"ich hab ein paar sachen umgestellt in den letzten monaten", sagt die lederjacke ernsthaft. "ich habe wieder angefangen, mehr zu boxen. dafür will ich fitter werden und auch noch ein paar kilos abnehmen."
das erklärt auch die zusätzliche muckimasse.
"dann lass uns doch aufbrechen."

an der bahn nimmt mich die lederjacke in den arm:
"das war ne richtig gute idee, ist die party öfter?"
"alle vier wochen."
"ich will da wieder hin!"
"gerne."
"dann komm mal gut heim", drückt mich die lederjacke ganz fest, "und schick mir ne nachricht, wenn du angekommen bist, dann bin ich beruhigter."
"dito."

dann zieht jeder seines weges. erst in der bahn fällt mir ein, dass ich ja mal hätte fragen können. anderseits bin ich auch zu müde zum vögeln. also beschließe ich, mich an der tatsache zu erfreuen, dass die lederjacke immer noch mein freund sein will - und dass ich nun wieder eine halbswegs ordentliche wohnung habe.

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