Samstag, 21. Juni 2014
heißkalte seelen
das objekt ist einfach da. als ich aus der drogerie komme, sitzt es auf den stufen vor dem haus und raucht.
ich bleibe wortlos stehen und starre.
"ich hatte zwischendienst und dachte, ich komm mal rum", sagt es anstatt einer begrüßung.
ich sage nichts.
"schlechte idee?" fragt es, steht auf und nähert sich.
ich schiebe mich an der umarmung vorbei und den schlüssel ins schloss. das objekt drückt sich hinter mir ins haus und steigt dann schweigend mit mir treppen.

"was willst du hier", frage ich, als ich in die wohnung schlüpfe und die hand an der tür habe, während das objekt noch draußen steht.
"mich entschuldigen", sagt es schnell.
ich ziehe die augenbrauen hoch.
"ehrlich, es tut mir leid", sagt es.
"was tut dir leid?"
"alles. ich bin manchmal so... ich hatt den kopf voll."

ich weiß, dass widerstand zwecklos ist und winke das objekt in die wohnung. die katzen schmiegen sich begeistert um seine beine. schlampen, denke ich, kleine dumme schlampen, die genau wie ich immer wieder auf diese pheromone reinfallen. der kleine springt ihm auch gleich auf den schoß, kaum dass es sitzt, rollt sich auf den rücken und lässt sich willig den bauch kraulen.

"ich hab essen mitgebracht", sagt das objekt und zieht eine tüte aus der tasche. "so als klitzekleine wiedergutmachung."
"ich bin nicht hungrig", sage ich.
der große kater hält zu mir und kommt auf meinen schoß. verstärkung. das tut gut. und abstand zugleich, denn mit dem dicken als puffer kann mich das objekt nicht berühren.

"du warst total kalt und eklig zu mir", sage ich. "wenn du den kopf voll hast, dann sagst du mir das gefälligt und ziehst nicht so eine show ab. ich hab sehr wohl gemerkt, dass deine alte im hintergrund war. hast dir wohl gedacht, du beweist ihr mal, wie wenig wichtig ich bin. dass ich nur die kleine kranke nutte bin und du der große souverän bist?!"
das klingt verletzter als ich es sagen wollte.
"ich habs bereut", sagt das objekt.
"schön", sage ich. "und jetzt teilst du mir das mit und möchtest gerne deine absolution."
"ja", grinst das objekt frech, aber mein herz macht keinen hüpfer angesichts dieser kleinen charme-offensive, sondern bleibt verschlossen.

"kannste dir sparen", sage ich. "ich bin sowieso bald weg und dann seh ich dich nie wieder."
dem objekt bleibt der mund offen stehen.
"du willst dir das leben nehmen", sagt es schockiert.
ich muss nun doch lachen.
"nee, ich werde einfach nur hier wegziehen."
so viel erleichterung steht dem objekt ins gesicht geschrieben, dass ich fast ein wenig lächeln muss.
"gottseidank", sagt es, um sich dann zu korrigieren, "also ich meine, natürlich nicht gottseidank dass du wegziehst, sondern dass du dich nicht umbringen willst."
vorsicht ist die mutter der porzellantruhe.
"ich hab vielleicht ne stelle. also eigentlich zwei und ich hoffe, dass eine klappt."
"das ist doch großartig. ich hoffe, nicht wieder agentur?"
"nein. nie wieder agentur."
"und wohin zieht du dann?"+
"weit genug weg", erwidere ich knapp.

das objekt ist sichtlich verwirrt und braucht zeit, um die informationen zu verarbeiten. es geht in meine küche und beginnt, das mitgebrachte essen aufzuwärmen. als der duft von fisch durch die wohnung zieht, merke ich widerwillig, dass ich appetit bekomme.
"was ist das gelbe?" frage ich und schaue dem objekt über die schulter.
"rate mal."
"boah, nee. keine spielchen."
"ich geb dir nen tipp. das ist das teuerste gewürz der welt."
"safran."
das objekt schaut mich ertaunt an:
"woher weißt du das?"
"allgemeinbildung."
das objekt rührt im topf und hält mir dann eine gabel reis hin.
"probier mal."
ich puste vorsichtig, dann koste ich. es schmeckt köstlich. ich nicke zustimmend.
"gut."

dann sitzen wir auf dem boden und essen.
das objekt beobachtet jede geste und lauert sichtlich auf meine erweichung. nach dem essen spült es ab und kommt dann wieder mit einem joint ins zimmer.
"nachdem du mir heute sicher keinen blasen willst, hab ich mal den da mitgebracht."
"zermürbungsstrategie, was?"
die ersten züge reißen mir förmlich den boden unter den füßen weg. mein kopf füllt sich mit watte und mein herz klopft unregelmäßg und schnell.
"ganz schön stark."
"dope aus amsterdam."
"boah, das zeug geht ja gar nicht."

das objekt zieht sich das mörderdope rein und meint dann selig:
"also von mir aus kann dieser abend noch ganz lange dauern."
ich bin stoned und weiß überhaupt nicht mehr, was ich sagen soll. in mir breitet sich ein kleiner fleck aus, als hätte man wasser ausgekippt. ein kleiner fleck trügerischer geborgenheit.
"möchtest du mir vielleicht noch was zu dem sagen, was ich dir gesagt habe?" frage ich irgendwann.
"ja", sagt das objekt. "aber nicht heute."
"na toll", sage ich sauer.
"morphine, wenn ich dir jetzt was sage, kommt lauter quatsch raus. ich muss dafür zugang zu mir haben, und der fehlt mir gerade."
"wieso fehlt der dir?"
"weil ich nie alleine bin. ich hänge gerade den zehnten tag in folge auf station und krieg derzeit enorm gegenfeuer von 13 extrem schwierigen patientinnen. dann komm ich nach hause und die gespielin wartet schon und will dies und das von mir, und mein sohn ist die ganze woche bei mir, weil er sich zuhause bei mama langweilt und lieber bei mir ist, und jeder zerrt an mir und ich hab den totalen overload."
"das haste dir ja so ausgesucht. dafür musste mich nicht ankacken."
"morphine, du sagst manchmal, du seist so schwierig, dass das ja keiner aushalten kann. und verdammt, manchmal bist du es wirklich, und ich gebe mein bestes, weil ich dich mag, aber es gibt momente, da fehlt es mir an allem und ich kann nichts geben, absolut nichts, und du bist so bedürftig."
"dann versprich aber doch bitte nichts, was du eh nicht halten willst."
das objekt seufzt schwer.
"du machst es mir nicht leicht."
"hab ich auch nicht behauptet."
für einen moment schauen wir uns an und müssen lächeln. dann spüre ich, wie ich traurig werde. da sitzt das objekt und trägt ein weißes t-shirt, das sich über die breite brust spannt, die oberarme sind voller sommersprossen, von denen ich jede zu kennen glaube, und die grünen augen fixieren mich aufmerksam - alles zum greifen nahe und doch unendlich weit weg.

"was ist mit dir?" fragt das objekt sanft.
"ich bin traurig", sage ich. "ich nehme gerade abschied von dir."
das objekt seufzt wieder tief.
"komm doch mal her."
es steht auf und breitet die arme aus. ich krieche zögerlich hinein.
"gott, bist du angespannt", sagt das objekt.
es drückt mich fest an sich und wiegt mich.
ich unterdrücke ein paar tränchen und ziehe die nase hoch.

dann setzen wir uns wieder.
"musst du nicht nach hause?" frage ich, "deine alte wartet doch sicherlich schon sehnsüchtig auf dich."
das objekt schüttelt den kopf.
"ich geh aber, wenn du willst."
"das ist jetzt sowieso schon egal, ich müsste längst im bett sein."
"ich würde gerne noch ein halbes stündchen bleiben. wenn das geht."
"in ordnung."

das objekt krabbelt zu mir in den sessel und schmiegt sich an wie ein kätzchen.
"ich könnte dich ja besuchen, wenn du weg bist."
ich schnaube verächtlich.
"hm, genau so wie den dritten. die wohnen jetzt schon das zweite jahr in hannover und du warst immer noch nicht da, obwohl du es dem dritten hoch und heiig versprochen hast."
"das ist doch auch was anderes."
"stimmt. der hat ne freundin und es findet deswegen kein fickvergnügen statt."
da hält das objekt endlich die klappe und dreht noch einen joint.

"was hast du eigentlich gedacht, als wir uns kennen gelernt haben?" fragt es mich dann.
"warum willst du das wissen?"
"naja, ich wirke ja auf viele frauen so machohaft und das würde mich mal interessieren, wie dein erster eindruck war."
ich grüble nach.
"unsicher. wie ein schulkind an der tafel."
das objekt schaut mich an.
"du hattest schon damals einen guten blick."
"ich glaube nicht, dass nur ich das so sehe."

ehe wir uns versehen, ist es vier uhr nachts.
"jetzt aber raus mit dir", sage ich rigoros.
ds objekt erhebt sich schwerfällig.
"gut, dass ich morgen spätdienst habe."
"ich nicht."
"wann musst du raus?"
"in drei stunden."
"ich denk an dich."
"lügner."
das objekt schmunzelt.
"ich weiß, dass ich den letzten eindruck nicht mehr revidieren kann."
dann gibt es mir aus heiterem himmel einen kuss, dreht sich schnell um und eilt die treppe hinuntern.

ich falle in mein bett. als der wecker klingelt, erwache ich mit einem schlimmen kiffkater und dem gefühl, als hätte jemand meine welt in die waschmaschine gesteckt und auf schleudergang gedrückt.

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