Mittwoch, 11. Oktober 2017
das ich im wir
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oder: klagelied aus der küche

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Montag, 12. Juni 2017
steine im weg
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oder: juhu, endlich (wieder) krebs!

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Samstag, 20. Mai 2017
am arsch
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oder: das anti-eskalations-programm

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Sonntag, 3. Mai 2015
tagesablauf
heute brauche ich mal ihre hilfe.

ohne medikamente laufe ich gefahr, den tag stumpf zu verdümpeln, wenn nicht gerade arbeit ansteht. habe ich freizeit, fällt es mir manchmal unheimlich schwer, mir etwas vorzustellen, was ich gerne machen würde. ich habe kein motivationsproblem - wenn ich weiß, was ich will, stürze ich mich rein. die schwierigkeit ist tatsächlich die innere leere, die unmöglichkeit, eine gute idee zu erhaschen, was ich so treiben könnte. die folge davon ist nicht nur langweile und damit raum für ganz doofe ideen, wie ich mich wieder selbst schädigen kann. was mich besonders tief in die verzweiflung stürzt, ist der eindruck, dass alle anderen in ihrer freizeit lauter unglaublich interessante, weltbewegende und erfüllende dinge tun, die sie wahnsinnig glücklich machen.

um mit diesem - ich denke irrglauben - mal aufzuräumen, bitte ich sie, liebe leser, mir einmal aufzuschreiben, was sie so machen, wenn sie einen freien abend oder sogar einen ganzen freien tag haben. mit "frei" meine ich dabei, lediglich ohne berufliche zwänge. mir ist schon klar, dass viele von ihnen auch familienleben-orgakram oder haushalt als arbeit bewerten, aber das würde für mich schon zur freizeit zählen (putzen bspw. finde ich sehr chillig).

vielleicht gibts sogar den ein oder anderen impuls für mich und ich lege mir ein neues hobby zu oder so. mich interessiert aber wirklich IHR tagesablauf und weniger, was sie denken, was ICH mit meiner zeit machen sollte.

ich bin gespannt!

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Montag, 1. Dezember 2014
tumor, klappe II.
alle-jahre-wieder: radiologie.
dass mit meinem fuß was nicht stimmt, habe ich ja schon seit dem sommer gespürt. beim abknicken fühlte der sich immer an, als ob man mir einen schocker dranhält. sehr elektrisch irgendwie. kein wunder, wenn man immer unter strom steht, haha.

meine chirurgin sagt, es sei ein nerventumor, wahrscheinlich gutartig. nach der knochenkrebs-hysterie im letzten jahr bin ich relativ chilled.

trotzdem morgen bitte mal daumendrücken.

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Montag, 16. Dezember 2013
leben
und dann durchlebe ich die längsten 32 minuten ever im wartezimmer der unfallchirurgie. das herz schlägt bis zum hals, hände und beine zittern unkontrolliert, ich schwitze wie ein schwein. ein alter mann im rollstuhl schaut mich mitleidig an, dann widmet er sich wieder seiner zeitschrift.

der junge blonde chirurg kommt mit unbewegter miene herein, bittet mich in sein zimmer, setzt sich, entschuldigt sich für einen systemfehler, die patientenakten seien daher derzeit nur begrenzt einsehbar. als er dann den blick hebt und den mund öffnet, habe ich das gefühl, gleich ohnmächtig werden zu müssen.

dann beginnt er endlich zu sprechen:
"ihre knochen sind frei von metastasen. auch die veränderungen im knie sind unauffällig, das heißt, wir können mit 99 prozentiger wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es sind um ein osteofibrom und nicht um ein osteosarkom handelt."

und alle weihnachtsglocken läuten für mich.

---
edit

die erste nummer, die ich nach dem befund wähle, ist die des objekts. es hat mich am mittag extra noch einmal angerufen, um mir zu sagen, dass es gewissermaßen auf abruf stehe, egal, wie die endgültige diagnose aussieht. als ich anrufe, ist es gerade dabei, mit dem sohnemann die treppen zu seiner bruchbudigen wohnung zu erklimmen.
noch bevor es etwas sagen kann, rufe ich:
"gut! es ist gutartig!"
dann höre ich ein poltern und die leitung ist tot. eine minute später ruft mich das objekt zurück:
"mir sind eben zehn tausend tonnen steine vom herzen und das telefon ins treppenhaus gefallen."
im hintergrund kreischt der sohnemann:
"und ich habs geholt! ich habs wieder hochgeholt!"
"ach morphine", fährt das objekt fort, "das ist so wunderbar, es freut mich so für dich. du hast das verdient."
"ich freu mich auch wie irrsinnig."

dann betritt das objekt offenbar die wohnung und sagt zu seinem lütten:
"der papa telefoniert jetzt und du beschäftigst dich erstmal alleine, ja?"
"okay", piepst die kinderstimme, dann geht eine tür und das objekt widmet mir wieder seine aufmerksamkeit.
"und wie fühlst du dich jetzt?"
"wie wenn ich auf nem gleis gelegen hätte und ein güterzug auf mich zugerast wäre... und jemand hat ihn in letzter sekunde aufs nebengleis gefahren."
das objekt lacht.
"und hast du auch was mitgenommen an erkenntnissen aus dieser zeit?"
"hm, also ich habe überrascht festgestellt, dass ich keine angst vorm tod habe. also vorm sterben schon... vor dem wie und vor allem dem wie lange... aber tot zu sein wäre okay gewesen. wenn die heute gesagt hätten, sie haben 25 metastasen und das lohnt sich alles nicht mehr, hätte ich mir mein morphium abgeholt und wäre fein gewesen. das hat, glaub ich, auch damit zu tun, dass ich so viel über selbstmord nachgedacht habe. in dem fall hätte mir das schicksal das eben aus der hand genommen."
"da siehst du mal, depressiv sein hat manchmal auch einen vorteil", sagt das objekt.
"ja, mann, wer hätte das gedacht! ich bin privilegiert mit meiner arschkarte!"
wir lachen beide.

"und hast du auch was schönes erlebt in dieser zeit? was würdest du für dich festhalten?"
was für eine frage. eine typische objekt-frage.
"das war alles sehr intensiv. die angst und die traurigkeit... aber auch die schönen momente. der sex neulich bei dir oder unser spaziergang... ich hab das alles ganz anders wahrgenommen. einzigartig und kostbar und vielleicht ohne die möglichkeit einer wiederholung."
ich stocke, weil ich angst habe, zu viel gefühlsduselei zu evozieren, aber das objekt atmet nur ganz tief und sagt:
"ging mir auch so."
wir schweigen eine weile, dann fängt der akku des objekts an zu piespen.
"verdammte scheiße", flucht das objekt. "willst du mir noch was sagen? was wichtiges?"
was meint es bloß? ich rätsle und entscheide mich dann für die version kleiner feigling:
"ich würde dich gern zum essen einladen. so richtig feudal. wenn du magst und du zeit hast."
"oh!" das objekt, das mindestens so verfressen wie meine katze und für kulinarische experimente immer aufgeschlossen ist, ist hocherfreut.
"kochst du?"
"äh, nö. weil das könnte unangenehm werden und das wäre nicht sinn der sache. ich hatte an essen gehen gedacht. du darfst auch gerne was aussuchen."
"dann bin ich für... was muscheliges."
"hä?!"
"auster?"
ich stehe auf der leitung, bis sich das objekt kaputt zu lachen beginnt.
"ach, ich verstehe. du meinst so... wiener würstchen in auster an frischen eiern?"
"genau. gerne auch als nachtisch. nur für das wiener würstchen müsste ich dir jetzt eigentlich die nippel langziehen."
"scheint, als hättest du aus dieser zeit auch was mitgenommen."
"genau. das leben ist zu kurz, um auf sex mit morphine zu verzichten."
"dann meld dich doch einfach, wann es dir passt."
"mach ich. und du schick ab und an mal ne brieftaube, falls du in den süden fährst."
"aye-aye."
"braves mädchen. bis bald."
"ciao."

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Sonntag, 15. Dezember 2013
im baumgarten
am samstag gegen mittag schreibt mir das objekt, dass es wegen der angespannten lage erst um 16 uhr rauskommt. wenn ich will und kraft habe, darf ich bei seiner arbeit vorbeikommen und dann würden wir im park spazierengehen. ich freue mich trotz allem wie irr und schreibe, dass ich da sein werde. das objekt mahnt mich, mit dem bus statt mit dem fahrrad zu fahren, weil es glaubt, dass ich derzeit zu durcheinander sei, um mit dem straßenverkehr klarzukommen. ich, die ich nicht weiß, wie lange ich noch radfahren können werde, sehe das anders.

um viertel vor vier stelle ich mein rad an der klinik ab und begebe mich durch den gebäudedschungel zu dem neubau, wo das objekt arbeitet. es ist kalt und neblig und ich verfluche mich, dass ich keine wärmere jacke mitgenommen habe. dann kommt auch schon das objekt auf mich zugeeilt, strahlt mich an und nimmt mich in die arme.
"schön, dass du da bist."
"schön, dass DU das bist", erwidere ich.
"hat das alles geklappt? hast du den bus genommen?"
ich schaue schuldbewusst zu boden.
"morphine! du bist so unvernünftig! so unvernünftig!" poltert das objekt, um dann schmunzelnd hinzuzufügen:
"und trotzdem versteh ich dich. ich würde es ja nicht anders machen."

das objekt nimmt mich über die straße mit in den park.
"warst du schon mal hier? kennst du die wege?"
"ich war zweimal hier. aber ich hab den park noch nie ganz gesehen."
"dann zeig ich dir jetzt erstmal meinen lieblingsplatz."
der objektive lieblingsplatz ist eine anhöhe mit einem dicken, uralten baum in der mitte. es gibt zwei bänke, von denen aus man auf einen teich schauen kann. das objekt kramt in seiner kuriertasche und bringt handtücher zum vorschein.
"wie gut, dass ich gestern noch schwimmen war, jetzt können wir uns auf die handtücher setzen und bekommen keinen nassen po."

die handtücher verströmen einen zarten duft nach dem objektiven limette-ingwer-duschgel. wir setzen uns nieder.
"ganz schön kalt", finde ich.
"komm", sagt das objekt, schlüpft aus einem ärmel seiner jacke, zieht mich an sich und meine beine in seinen schoß und schlingt dann die jacke um mich.
"herrlich. du bist so praktisch."
"ist ja nicht ganz uneigennützig", sagt das objekt und berührt die kontur meiner rechten brust, die an seine seite gepresst ist.
"bisschen kalt für outdoorsex", konstatiere ich.
"das wird gleich warm", meint das objekt.
es zieht tabak und eine dose aus der tasche.
"du hast nicht ernsthaft dein gras mit auf arbeit", sage ich.
"doch klar", meint das objekt völlig entspannt. es drückt mir ein paper zum festhalten in die hand und fummelt dann tabak aus der tüte, streut fein gras darüber und formt das ganze anschließend zu einem festen, schönen joint.
"du darfst anrauchen", sagt es großzügig.

wir sitzen ineinander gekuschelt da und qualmen. das objekt wärmt mich in seiner jacke und wiegt mich sachte wie ein kind. es hat seinen weichen bart an meine wange gedrückt und summt leise in mein ohr.
"das hier ist so mein burggarten", sagt es dann. "also wenn da jetzt noch ne hecke wäre. die musst du dir denken. da könnten wir auch dahinter verschwinden, wenn wir mal pinkeln müssen."
ich lache mich halbtot.
"mit hecke würden mir hier noch ganz andere dinge einfallen. stell dir vor, es wäre jetzt ein schöner sommerabend... wir wälzen uns nackt auf der erde von mutter natur..."
das objekt grinst mich an und schweigt.

dann stehen wir auf und das objekt setzt seine parkführung fort. es sind kaum noch leute unterwegs bis auf einige wenige jogger, die im dunkel ihre runden drehen.
"was würdest du machen, wenn du sehen würdest, dass eine frau hier überfallen wird", will ich vom objekt wissen.
das objekt lässt mich kurz los, ballt die fäuste und deutet einen zweikampf an, bei dem es den gegner niederstreckt.
"und dann würde ich das weibchen reißen", grinst es frech. "die beute als belohnung."
ich puffe es in die seite und gebe mich empört und das objekt knufft und küsst mich.

wir kommen zum teich, den wir von oben gesehen haben.
"hier gibt es ganz viele kaulquappen und auch ein paar fische", erzählt das objekt. "also falls die klinik deine sommerresidenz werden sollte... hier gibt es einiges zu entdecken und zu staunen. das lohnt sich immer, ich mag es jedenfalls sehr gerne hier."
ich muss lächeln und denke an mr. shyguy, der das objekt noch als jugendlichen kennt und der immer sagt, das auffälligste am objekt sei damals gewesen, dass es immer seine welt teilen und anderen das schöne zeigen wollte. im zuge der kompletten nichtachtung durch seine eltern, der rohheit seines vaters und des vermehrten alkohol- und drogenkonsum sei ihm diese lebendigkeit allerdings immer mehr abhanden gekommen. die erkenntnis, dass das objekt gerade in diesem moment vielleicht genau so ist, wie es eigentlich wirklich ist, durchschießt meinen kopf und sammelt sich als warmes gefühl in meiner brust.

nach gut einer stunde stehen wir wieder am parkausgang. das objekt zieht mich wortlos in seine arme und hält mich ganz fest.
"wie auch immer", seufzt es dann. "also... wie auch immer es ausgeht... ich werd versuchen, da zu sein. trotzdem musst du dir jetzt schon überlegen, wie es im ernstfall weitergeht. was machst du mit deinen eltern?"
"die fahren morgen wieder."
"wie hast du das denn geschafft?"
"meine mutter wollte heute meine wohnung sehen und ich hab gesagt, dass ich dich sehen werde und ich sie erst abends treffen würde. sie meinte dann, aber sie hätte meine katze sehen wollen. was mich verblüfft hat, denn meine mutter hasst katzen. nunja, über kurz oder lang war sie wieder angefressen und meinte, sie würden dann nach hause fahren. ich meinte, okay, macht das. ich hab dann nur noch kurz mit meinem vater gesprochen und ihm gesagt, dass ich für heute abend einen tisch reserviert habe und wo das genau ist. mein vater versteht mich gerade glaub ich eher."
das objekt schaute skeptisch.
"ich hätte es gut gefunden, wenn jemand für dich da gewesen wäre."
"du musst das nicht machen, echt nicht, ich komm schon klar."
"das meinte ich nicht."
"aber ich will, dass du das weißt. ihr habt doch hier eine sozialstation, ich werde da fragen, was ich machen soll, ob es eine art vorübergehende pflege für alleinstehende krebspatienten oder sowas gibt. ich zieh das alleine durch, ich schaff das schon."
das objekt schaut mich bewundernd an.
"respekt. du hast echt nen arsch in der hose."
"ich weiß. aber ich rede jetzt vielleicht auch cooler daher als ich nächste woche dann sein werde."
"was machst du mit deiner arbeit?"
"ich bin dieses jahr noch krankgeschrieben... aber ich werde nächste woche wieder arbeiten gehen. egal, was rauskommt. wenn ich allein zuhause rumsitze... davon geht der krebs auch nicht mehr weg. es sei denn, ich habe schlimme schmerzen, dann bleib ich zuhause."
das objekt nimmt mein gesicht in seine hände und streichelt meine wangen und haare. es überlegt und überlegt und sagt dann zögerlich:
"weißt du, was ich mir wünschen würde? falls es schlimm ausgeht... dann möchte ich etwas von dir haben. irgendwas, was dir gehört und was dir vielleicht auch was bedeutet. damit mir etwas von dir bleibt."

jetzt muss ich doch ein bisschen heulen, einfach, weil ich das objekt so lieb habe und es manchmal so schöne gedanken hat. und weil es mich immer noch festhält, warm, beruhigend, zärtlich, und ich so sein kann, wie ich bin.
lustig und traurig.
krank und gesund.
cool und emotional.
schüchtern und sexy.

und ich weiß, dass ich noch einmal herkommen werde, an den objektiven lieblingsplatz und an den kaulquappen-teich und genau an diese stelle hier am ausgang. immer dann, wenn ich kraft brauche und mich erinnern muss.

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Samstag, 14. Dezember 2013
radioactivity
gestern war der tag der großen szinitgrafie. ich hatte sowas noch nie und stellte es mir ähnlich vor wie röntgen oder mrt, was ich zuvor ja nun reichlich hatte. also rein, ein bisschen radioakitivität in die knochen kriegen, einmal lustig durch die röhre und fertig.

um acht uhr morgens kam ich an der klinik an, wo meine inzwischen eingetroffenen eltern auf mich warteten. einer der größten fehler, die man in meiner situation übrigens machen kann, ist der fatale schrei nach mama. nach der diagnose knochenkrebs hatte ich einfach nicht richtig nachgedacht. panik macht ja impulsiv. jetzt waren diese beiden menschen gekommen, mit denen ich ohnehin meine differenzen hatten, die in der angeditschten nervlichen lage schon nach wenigen minuten voll zum tragen kamen.

ich war zunächst dankbar gewesen, dass sie nach kaum 48 stunden die koffer gepackt und in einen zug gesprungen waren, was angesichts der komplett fehlenden spontanität meiner eltern ein akt war, den ich schwer für möglich gehalten hätte. dann stellte ich jedoch fest, dass meine eltern mit der situation noch viel weniger klar kamen als ich. ich war darauf vorbereitet und machte gleich zu anfang die große ansage, dass es mir leid täte, dass sie das erleben mussten und dass ich wisse, wie schwer das für sie sei, dass ich nun aber das quasi unmögliche verlangen müsse: dass sie ihre eigenen ängste und den kummer einmal zurückstellten und mir stattdessen mut machten. genauso hätte ich sagen können, verpisst euch, denn meine mutter war sofort tödlich beleidigt und schmollte, weil es mir ja offenbar egal sei, wie es ihnen als eltern gehe und dass mein vater kurz vor einem herzinfarkt stehe. weiterhin war die rede davon, dass sie mich sofort in meine nichtmehr-heimat verfrachten wollten, was mir noch mehr angst machte.

als wir nach der beinahe-eskalation im warteraum der nuklearmedizin saßen, überlegte ich tatsächlich, wie weit meine eltern in ihrer vermeintlichen fürsorge gehen würden und wohin ich im ernstfall flüchten könnte. dann unterbrach der strahlenarzt meine überlegungen und rief mich zum aufklärungsgespräch. meine mutter wollte natürlich mit. der strahlenarzt guckte skeptisch. ich überlegte, wollte dann aber aber nicht noch mehr unfrieden stiften und hoffte, dass meine mutter den arzt nicht allzu sehr strapazieren würde.

der arzt war zum glück arschcool und erkannte die lage klar. er widmete sich also erst meiner mutter und ihren sorgen, erklärte, dass sie mir weder sofort chemo verpassen noch körperteile amputieren würden, nein, schon gar nicht vor weihnachten, dem heiligen familienfest, und dass es vom heutigen tage bis zu meiner wenigkeit als kompletten pflegefall noch weit sei. dann erklärte er mir, was nun als nächstes passieren würde und nahm mich mit in den dritten stock, wo schon zwei fachkrankenpfleger - oder röntgenassis oder was man da eben so ist - auf mich warteten.

weil die welt so klein und die szene hier relativ groß ist, war, wie es das schicksal so wollte, einer der beiden weißkittel ein club-bekannter von mir. wir machten beide große augen und lachten. dann hieß mich mein bekannter platz nehmen, weil er mit die radioaktive flüssigkeit spritzen musste.
"wehe, du durchbohrst mir meine sehnen, das passiert bei mir ganz schnell", warnte ich.
"keine sorge", meinte der bekannte und schaffte es, mit einem ganz sanften pieks den butterfly in meinen arm zu manövrieren. dann wurden meine venen erst mit kochsalzlösung gespült, anschließend verstrahlt und zum schluss noch mal gespült.

danach kam untersuchung nummer eins, eine art ganzkörperscreening, das potenzielle metastasen ermitteln sollte.
"jetzt musst du leider 20 minuten ganz, ganz still liegen", sagte der bekannte.
"tust du mir nen gefallen", fragt ich, "kannst du mir bitte immer mal sagen, wie lange ich noch habe."
"klar. ich kann dir sogar musik machen, wenn du willst."
"auja."
"was willste denn hören?"
leider hatte die klinik nur radio, aber irgendwo spielten die sisters gerade "alice" und der bekannte und ich grinsten uns an.
"call me you personal dj", scherzte der bekannte.
dann setzte er sich an den computer und startete das programm. die ersten zehn minuten gingen ganz locker, danach wurde es kritisch, weil ich natürlich auch verdammt angespannt war und deshalb schneller zu zittern begann.
"dein kopf ist gleich raus", kündigte der bekannte nach rund 13 minuten an, "dann kannst du über den kleinen bildschirm über dir zusehen, welche körperteile gerade gescannt werden."
fasziniert beobachtete ich, wie auf dem bildschirm meinen hände flimmernd und fluoreszierend sichtbar wurden.
"wow", sagte ich.
"die hände bitte ganz still halten, da haben wir ganz besonders feine strukturen", mahnte mich mein pfleger.
"ich will aber nicht sehen, wo ich geschwüre hab."
"das siehst du auch jetzt noch nicht."
"ich mach trotzdem lieber die augen zu, ja, und du sagst mir, wie lange noch."
"okay."

nach dem ersten screening hatte ich erstmal pause, weil die radioaktivität zeit brauchte, um ganz tief in meine knochen vorzudringen. ich traf meine eltern im cafe wieder, wo sich meine mutter sichtlich bemühte, die mundwinkel auf normalhöhe zu halten. offenbar hatte mein vater, der der vernünftigere von beiden war, ein machtwort gesprochen. wir tranken relativ wortlos kaffee, dann bat ich um eine stunde für mich, in der ich einen spaziergang machen wollte.

ich hatschte in den park nebenan, dann rief das objekt an.
"wie weit bist du und wie geht es dir?"
"noch mittendrin. mir geht es aber jedenfalls besser als meinen eltern."
"lassen sie dich das merken?"
"wir hatten bis vor kurzen kein anderes thema als ihre sorgen."
"oh mann. das ist natürlich nicht so produktiv."
"nee, überhaupt nicht. ich hab mich gerade abgeseilt, weil die situation so kacke ist und ich nicht ständig den clown spielen kann für die zwei."
"schrei sie doch einfach mal an."
ich lachte.
"dann enterben sie mich."
jetzt kicherte das objekt:
"dir ist schon klar, dass die erbfolge auch andersrum passieren könnte?"
"ach stimmt, du hast recht, ich muss mir ja vielleicht gar keine sorgen mehr machen!"
der galgenhumor tat gut und die angst verpisste sich für ein paar minuten aus meiner brust.
"brauchst du ne umarmung?" fragte das objekt dann. "ich bin nebenan und könnte schauen, ob ich mal kurz runter kommen kann. kann ich aber nicht versprechen, hier ist armageddon wegen weihnachten, lauter suizide, und die angehörigen rennen mir die bude ein."
"schon okay, ich komm klar."

gegen mittag folgte ein zweites, kürzeres und relativ entspanntes screening, dann kam mein pfleger wieder und manövrierte mich in eine andere lage.
"du musst jetzt noch mal ungefähr 20 minuten lang still liegen und dabei die füße so nach innen drehen, dass sich deine zehen berühren."
"nicht dein ernst, oder? da halt ich nicht durch."
"ich kann dir auch die füße zusammenbinden und die beine seitlich fixieren."
"ja, bitte, ich bin jetzt schon ganz zappelig."
der bekannte bettete meine beine in eine art kleine sacksäcke und band meine füße zusammen.
"bondage mal anders", witzelte er.

wir machten wieder countdown mit musik. als ich danach von der liege krabbelte, war ich zittrig, schweißgebadet und bekam kreislauf. der bekannte fing mich auf und setzte mich auf einen stuhl.
"trink mal noch was. du musst auch die strahlung aus deinem körper kriegen."
"boah, ich kann nicht mehr trinken, ich hab schon einen wasserbauch, habe ich das gefühl."
"du bist bestimmt auch unterzuckert."
"ich krieg nichts runter."
"okay, verständlich, aber zwing dich ruhig."

dann betrat der oberarzt den raum und schenkte uns einen kritischen blick.
"ich brauche noch zusatzaufnahmen."
dann drehte er sich um und verschwand.
"was soll das denn nun heißen?" frage ich.
"wir machen noch mal aufnahmen von deinem knochen in scheibchen. dabei dreht sich das gerät einmal ganz um dich."
"das ist ein schlechtes zeichen, oder? der würde doch keine zusatzaufnahmen wollen, wenn da nichts verdächtiges wäre."
der bekannte berührte meine schulter.
"mach dir keine sorgen, so ungewöhnlich ist das nicht."
"wie lange dauert das denn nun wieder?"
"20 minuten, knappe halbe stunde. brauchst du ne pause?"
ich nickte.
"muss ich dann wieder irgendwelche komischen stellungen halten?"
"nein, ich polstere dir die knie ein bisschen bequem, wenn du das magst, aber es ist nichts besonderes."
ich nickte wieder.
"dann hole ich jetzt den nächsten patienten rein und du isst zwischenzeitlich was. ich hol dich so in einer viertelstunde oder 20 minuten wieder rein."

ich aß zwei bissen von einem brötchen und las eine zeitschrift. dann ging es weiter.
als ich endlich draußen stand und meine eltern wieder traf, war es halb vier uhr nachmittags.
"was wollen wir nun machen?" fragte mein vater, der inzwischen gefasster wirkte.
"hm, ich muss mal schauen, ich kenn hier wen, der arbeitet da drüben, der wollte vielleicht noch kurz runterschauen."
"dann gehen wir schon mal was essen."
"okay."

ich latschte um den block, doch das objekt war nirgends zu sehen. ich funkte es an, erhielt aber keine antwort. erst eine stunde später, als ich längst zuhause weilte, rief es an.
"alter, das ist der horror derzeit auf station. das ist das schlimmste weihnachten, das ich hier in vier jahren erlebt habe."
"hahaha, frag mich mal."
wir lachten, und es tat so gut, endlich wieder zu lachen.
"jetzt hab ich aber gar keine umarmung bekommen", beschwerte ich mich.
"hm, ich habe morgen frühdienst... du könntest mich abholen und dann... gehen wir im park spazieren? ich zeige dir auch meinen lieblingsplatz."
"magst du denn spazierengehen? sowas haben wir noch nie gemacht..."
"du bist sicherlich die größere spaziergängerin von uns beiden, aber man muss ja aufgeschlossen bleiben. und ich finde den park echt gut."
"dann drehe ich uns einen johnny und bring den mit."
"jetzt hab ich noch mehr lust auf spazierengehen."
"das dachte ich mir."
"du... taktikerin."
"ich hab schon mal schlimmere schimpfworte aus deinem mund gehört."
"das soll sich aber nicht wiederholen."
"na gut. dann sag mir bescheid, wenn du morgen durch bist und dann bin ich da, so gott will."
"bis morgen, und schlaf nachher gut. und vergiss nicht, dir was gutes zu tun und was leckeres zu essen."
"bis morgen, mutti."
das objekt lachte in den hörer und legte auf.

meine eine öffnete sich ein flasche wein, drehte einen und begab sich zu einer zeit, zu der sie die letzten 25 jahre nicht mehr schlafen ging, ins bett.
kraft sammeln.

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Donnerstag, 12. Dezember 2013
kieselsteinchen
bloggen, was die zeit hält. ich nehme sie mir gerade, auch wenn ich eigentlich vorhabe, den alltag weiterzugehen. es gilt vor allem, die nächte zu nehmen, die nackte todesangst, die ungewissheit und die schmerzen zu überbrücken. sich an das positive halten, das, was gerade da ist. und es gibt diese momente zum festhalten, allen schrecklichkeiten zum trotz.

der erste mensch, der nach der diagnose sofort live und in farbe an meiner seite stand, war das objekt. bevor ich mir noch recht überlegen kann, was ich von dem krebs, meinen meinetwegen schicksalsgebeutelten eltern und den voraussichtlichen auswirkungen der erkrankung auf meine berufliche situation halten soll, hat das objekt schon die vermietergespielin kurzerhand für den rest des tages zu ihrer freundin ausquartiert und mich einfliegen lassen.

dann sitze ich in der neuen objektwohnung, die trotz sechsmonatiger renovierung schlimm aussieht. davon abgesehen ist ganz offenbar auch die vermietergespielin keine leuchte im putzen und aufräumen. besonders im bad sieht es schrecklich aus. nicht ohne genugtuung stelle ich allerdings fest, dass das objekt und die vermietergespielin getrennte schlafzimmer haben. auch sonst kaum hinweise auf eine vermischung dieser beider leben. keine romantischen gegenstände, keine kleinen zettelchen mit botschaften wie "bis heute abend, schatz, hängst du schon mal die wäsche auf?" wie ich es von anderen zusammenlebenden paaren kenne. kurzum, ich bin beruhigt.

ich darf mich an den küchentisch setzen, das objekt nimmt gegenüber platz. fünf sekunden später überlegt es sich es jedoch anders, steht auf, schiebt mich zur seite, pflanzt sich neben mich und nimmt mich sehr fest in die arme. so sitzen wir eine weile, bis der objektsohnemann reinplatzt und vor freude schier ausflippt, dass ich da bin. er stürzt sich auf mich und umarmt mich in objekt-manier.
"du warst aber lang nicht mehr bei uns", sagt er und es klingt wie ein vorwurf.
das objekt schaut lächelnd von mir zu seinem kind, steht dann langsam auf und meint:
"ich mach mal essen, bleibst du solange bei der morphine?"
der kleine nickt und zieht mich ins schlafzimmer seines vaters, wo wir spiele spielen, bis das essen fertig ist. es gibt tagliatelle mit wildlachs und spinat, und obwohl ich der meinung bin, keinen bissen runterzubekommen, schmeckt es ganz köstlich. das objekt strahlt und lobt mich, als mein teller tatsächlich leer ist.

"können wir noch ein spiel spielen", greift der sohnemann nach dem abwasch nach meiner hand, aber der papa ist streng, beharrt darauf, dass ich sein besuch sei und mich der sohnemann schon lange genug in anspruch genommen habe.
ich sehe den jungen an, der die haare inzwischen ebenfalls lang wie sein vater trägt, sein hübsches mädchengesicht mit dem forschen blick. ich verspreche ihm, ihn nachher mit ins bett zu bringen, dann verzieht er sich, um einen film zu gucken.

"der hat sich aber gemacht", sage ich zum objekt. "der wortschatz, und wie er mit einem umgeht..."
das objekt grinst sehr zufrieden.
"na wenn die frau lehrerin das sagt."
"wie isses in der schule?"
"ganz okay. also, es könnte natürlich sehr viel besser sein, aber ich klage ja vom hohen ross."
"und wie kommt er hier so klar mit der situation", frage ich, und meine damit die objekt-wg.
"naja, also, so recht warm wird er nicht mit der gespielin. die dulden sich gegenseitig, aber es ist jetzt kein herzliches verhältnis."

weil ich erschöpft und kalt bin, steckt mich das objekt in sein bett, krabbelt hinterher und nimmt mich wieder in die arme.
"stell dir vor, all die positive energie, die du hier bekommst, sind wie kieselsteinchen. wenn du sie aufsammelst, behälst du sie, auch wenn du wieder alleine zuhause bist und die nacht durchstehen musst."
die unglaubliche wärme und die zart über mein haar und meine wangen streichelnden hände machen mich mich tatsächlich ruhiger, auch wenn die panik noch immer zwischen meinen schultern sitzt, wo sich inzwischen knochenharte verspannungen gebildet haben.
"morphine, es ist ganz normal, dass du solche gedanken hast", sagt das objekt, als könne es die schwarz wabernden hirnströme lesen. "das hat nichts mit hysterie oder so zu tun. es ist ja durchaus klug, sich innerlich auf die gefahren vorzubereiten. aber dazu ist jetzt der falsche zeitpunkt. wir haben noch ein paar tage. also versuch, die gedanken ziehen zu lassen und sie einfach fernzuhalten."

langsam steigen wärme und leben in mir auf.
es gibt objekt-hausmarke zu rauchen und weil mir geld inzwischen egal ist, kaufe ich dem objekt eine größere menge ab.
"ich werds brauchen", sage ich und das objekt schmunzelt und nickt.
der sanfte rausch breitet sich in meinem kopf aus und ich werde schläfrig und entspannt. das objekt hat meine kalten hände auf seinen bauch gepackt und hält sie fest. aller misere zum trotz finde ich das sexy. und auch hinter der objektstirn scheinen sich inzwischen nicht mehr ganz so unschuldige gedanken abzuspielen. wir schenken einander verstohlene blicke, dann küsse ich das objekt schüchtern auf die wange. es küsst mich zurück auf den mund, schaut mich dann an und überlegt, schweigt aber.

ich bewege meine hände, die noch immer auf seinem bauch liegen, ein kleines stück weiter nach unten, warte aber ab, denn das objekt ist mittlerweile auch sehr breit und damit eigentlich in keiner guten verfassung für sex. aber der kopf ist bereits angetriggert, das kann ich spüren.
"morphine", flüstert das objekt irgendwann. "wenn du so weitermachst, fallen mir lauter sauereien ein."
"also ICH sehe da kein problem", erwidere ich lachend. "du hast eine so genannte 'freundin', an der deine wohnsituation hängt. für mich ist es vielleicht der letzte sex meines lebens!"

anstatt einer antwort steht das objekt auf und beginnt, im flur zu kramen. dann kommt es wieder herein und schließt seine zimmertür von innen zu, damit die gespielin nicht unerwartet vor unserem bett stehen kann.
"aber das merkt die doch, so doof ist die auch nicht", sage ich.
"manchmal muss man eben prioritäten setzen", entgegnet das objekt. "auf jeden fall gibt uns das zeit, im ernstfall schnell was überzuziehen und ein bisschen abstand zwischen uns bringen."
ich schaue das objekt an und zweifle mal wieder heftig an der aufrichtigeit seiner gefühle für die vermietergespielin, beschließe dann aber, dass ich mir darüber eine sorgen machen muss.

das objekt lässt beiläufig und elegant die kleider fallen, steigt wieder zu mir ins bett und beginnt, mein winteroutfit aufzuknöpfen. ich taste mich indes richtung objektschwanz, der noch traurig auf halbmast hängt.
"ich kann dir nicht garantieren, dass das heute noch ein richtiger schwanz wird", sagt objekt das. "eigentlich habe ich viel zu viel gekifft."
"vertrau mal auf meine fähigkeiten", beschwichtige ich.

keine zwei minuten später habe ich einen prallen, harten schwanz aus der hülle gezaubert und das objekt wälzt sich begeistert über mich. dann vergessen wir alles um uns herum. beim orgasmus gibt das objekt eine art urschrei von sich. unsere hände halten sich umklammert und wir sehen uns aus weit aufgerissenen augen an.
ich sauge den moment in mir auf und versuche, ihn zu speichern. irgendwie für immer, egal, wann für immer enden wird.
"fantastisch", seufzt das objekt, als es wieder sprechen kann, und vergräbt den kopf an meiner schulter.

plötzlich raschelt es im flur. wir springen aus dem bett und greifen orientierungslos nach den wild übereinandergeworfenen klamotten. eine hand drückt von außen die türklinke hinunter. das objekt schaut mich panisch an und fummelt sich in seine hose. dann ruft eine stimme:
"papa! papa, was ist denn los, was macht ihr denn so lange, ich muss doch ins bett."
wir sehen uns an, bekommen einen lachanfall.
"uff", sagt das objekt leise, um dann die stimme zu heben:
"alles in ordnung, mein spatz, ich komme gleich mit der morphine rüber und dann lesen wir noch eine geschichte."

mit schlechtem gewissen, weil es schon nach halb elf ist, bringen wir den kleinen mann zu bett. dann steige ich in meine schuhe und verabschiede mich vom objekt:
"ich geh mal besser, sonst steht dein weibchen tatsächlich gleich in der tür."
"die kommt wahrscheinlich tatsächlich gleich, die hat ja morgen frühschicht."
wir umarmen und küssen uns.
"kannst du was versuchen, bitte", flüstere ich dem objekt ins ohr.
"ja, was denn?"
"kannst du irgendwie die nächsten tage bitte nicht einfach verschwinden?"
das objekt schmunzelt, nickt und sagt dann, es werde das handy anlassen, möglichst immer ansprechbar sein und auch zu untersuchungen sowie am gefüchteten stichtag mit in die klinik kommen.

dann mache ich mich auf den weg in die nacht, in eine weitere lange nacht zwischen hoffnung und zweifel.

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