Donnerstag, 7. Februar 2013
prinzipiell
während der papa in der küche steht und nachtessen macht, sitze ich mit dem objektsohnemann auf papas bett und diskutiere über spiele, die wir beide kennen.

"kannst du schach spielen?" fragt mich der lütte.
"prinzipiell schon, aber ich habe es nur sehr selten gespielt und es ist so lange her, dass man wohl sagen kann, ich bin im schach kein ernstzunehmender gegner."
"kannst du´s denn dann oder nicht", mault der kleine und zieht eine flappe.
"ich kenne so die regeln im groben, aber ich habe nie irgendwelche tricks gelernt."
"also kannst du´s NICHT", trompetet der lütte.
"im prinzip schon, wir könnten es durchaus spielen und für jemanden, der es gar nicht kann, sähe es sicherlich so aus, als könnte ich es, während ein schach-profi wie dein papa sich über meine züge garantiert kaputtlachen würde."

der sohnemann guckt, als hätte ich komplexe algebra-formeln von mir gegeben. dann wird es ihm offenbar zu dumm und er holt ein kartenspiel aus dem regal.
"kannst du das?" fragt er mich total genervt wie ein lehrer, der seinem zurückgebliebenen, faulen schüler eine letzte chance gibt.
ich muss schmunzeln und gucke auf die karten, uno, das habe ich auch schon sicherlich 18 jahre nicht mehr gespielt, doch ich glaube mich erinnern zu können, dass es im vergleich zu schach pipieinfach ist. ich nicke also und der sohnemann seufzt erleichtert, weil die abendgestaltung nun gerettet ist.

beim mischen fallen ihm die karten aus der hand und - angespannt vor hunger und müdigkeit nach einem langen tag - flippt er kurz aus und hat auch gleich tränen in den augen. ich ziehe das sich sträubende kind, das vom toben draußen noch nach frischer luft duftet, an mich heran und knuddle es, bis es sich beruhigt und mir die karten zum mischen gibt. ich kenne einen mischtrick, mit dem sich die karten in wenigen sekunden mischen lassen, und der sohnemann guckt fasziniert. dann gebe ich die karten aus.
"wie viele", frage ich.
"10", sagt der kleine, und als wir dann jeder zehn haben, "15!".
ich seufze und gebe noch jeweils fünf karten drauf.
dann geht es los. ich erinnere mich sofort: farbe auf farbe, oder zahl auf zahl und bei der letzten karte muss man "uno" sagen, sonst muss man neue vom stapel aufnehmen.

dann halte ich eine karte mit pfeilen in der hand und bin unsicher, was sie bedeutet.
"was bedeuten die pfeile?" frage ich.
"richtungswechsel", sagt der kleine, schon wieder genervt.
"also bin ich, wenn wir zu zweit spielen, noch mal dran, richtig?"
"jaaaaaaaaaa...."
ich spiele weiter und sage dann:
"ich hatte jetzt gedacht, das wäre die karte, mit der man die farbe ändern kann."
"nein!" der sohnemann lässt die karten sinken und sagt dann enttäuscht:
"du kannst das auch nicht richtig spielen!"
"doch, kann ich."
"nein, kannst du nicht! höchstens so... prinzipiell! aber nicht richtig!"
ich muss grinsen, weil ich es immer extrem süß finde, wenn der kleine meinen wortschatz adaptiert und ihn dann halbrichtig einsetzt.
"lass uns das zu ende machen und dann spielen wir revanche und dann verspreche ich dir, habe ich mich an alles erinnert und mach dich ratzfatz platt", schlage ich vor, aber plattgemacht werden will der objektsohnemann erst recht nicht, also verzieht er sich in die ecke des bettes, zieht die bettdecke bis zu den ohren hinauf und ist gnatschig, bis ich mein iphone aus der tasche ziehe und wir mein handy-spiel spielen, das der kleine so liebt.

als der papa ins zimmer kommt, sitzen wir einträchtig und aneinandergekuschelt im bett. das objekt lächelt und holt uns in die küche. es gibt einmal fleisch und einmal vegetarisch für mich.
"das hättest du nicht extra machen müssen", sage ich zum objekt.
"aber du magst doch kein fleisch, du bist doch vegetarierin."
"aber das ist hühnchen, das ess ich."
das objekt lässt verblüfft die gabel sinken und fragt dann:
"aber hühnchen ist doch fleisch?"
"naja, für mich eher nicht."
da mischt sich der objektsohnemann ein und meint:
"also isst sie kein fleisch, nur prinzipiell!
"hühnchen ess ich", verbessere ich. "ich weiß auch nicht, das ist für mich wie... wie eine pflanze."
"aber nur im prinzip!" schiebt der objektsohnemann noch mal nach. "weil eigentlich ist es keine pflanze."

das objekt guckt groß und verständnislos zwischen mir und dem sohnemann hin und her, bis ich mit den lippen lautlos "neues wort" forme und das objekt damit erleuchte.
dann essen wir zu ende. als ich die teller in die spüle stelle, huscht das objekt zum kühlschrank und verkündet:
"ich hab euch eine überraschung mitgebracht!"
der objektsohnemann kriegt glänzende augen und fragt:
"was denn?"
"ich hab nachtisch gekauft", sagt das objekt geheimnisvoll und hält die kühlschranktür zu.
"was denn, was denn", springt der kleine an seinem papa hoch.
"es gibt pudding mit sahne", verkündet das objekt da.
"oohhhh", sagt der sohnemann und setzt sich gleich wieder an den tisch.

"welche sorte willst du, vanille oder erdbeere?" fragt das objekt den kleinen.
da zieht der kleine wieder flappe und nuschelt enttäuscht:
"schoko, aber im prinzip vanille."
das objekt zieht die augenbrauen hoch. da es keinen schokopudding hat, stellt es den vanillepudding vor dem lütten auf den tisch und erdbeere an meinen platz.
"nein!" ruft der kleine da, "ich will keinen doofen vanillepudding!"
"du kannst auch erdbeere haben", sage ich, "ich brauche keinen pudding, ich bin sowieso satt."
"nein! ich will gar keinen pudding."
das objekt ist genervt, beherrscht sich aber und fragt dann ruhig nach:
"pass mal auf, aber du hast doch vorhin gesagt, du möchtest vanille?"
"ja!" weint der kleine jetzt lauthals, "aber doch nur im prinzip."

das objekt schaut etwas ratlos zu mir. ich versuche zu dolmetschen:
"ich denke, er meint, er mag am liebsten schoko, aber grundsätzlich auch vanille, nur heute nicht. stimmt das so?" stupse ich den kleinen an.
der nickt wild und schnieft.
"meine güte", seufzt das objekt. "und deshalb musst du jetzt heulen."
"jawohl!" braust der kleine wieder auf, "weil du verstehst gar nix!"

ich gucke zum objekt. an seiner stelle wäre ich spätestens jetzt ausgerastet. doch das objekt bleibt noch immer ruhig, denkt nach und fragt dann den kleinen, der noch immer schluchzt:
"kann das sein, dass du einfach nur müde bist?"
"nein!" schreit der sohnemann. "ich bin gar nicht müde!"
"doch", erwidert der papa fest. "im prinzip bist du sogar furchtbar müde und machst hier deswegen so ein theater. das finde ich scheiße, weil ich hab nämlich lieben besuch."
endlich, endlich beruhigt sich der kleine und gibt zu, dass er im prinzip doch ein kleines bisschen sehr müde sei, ganz prinzipiell zwar nur, aber prinzipiell genug, um sich vom papa über dessen breite schulter werfen und hinüber ins bett tragen zu lassen.

kaum, dass der kleine die matratze berührt, schläft er auch schon. das objekt macht ein kleines licht an, das den raum sanft und heimelig erleuchtet, weil der sohnemann nicht im dunkeln schlafen mag. dann schleichen wir zurück in die küche und rauchen und reden, bis ich sage, dass ich im prinzip ebenfalls müde sei und daher nach hause fahren würde. das objekt bietet mir an, dass ich doch im prinzip bleiben könne, aber ich weiß aus erfahrung, dass ein 1,60-m-bett für drei personen prinzipiell verdammt klein ist. außerdem strampelt und redet der kleine - ganz der vater - im schlaf, weshalb ich mich ständig erschrecke und aufwache. daher beschließe ich, nicht nur prinzipiell, sondern ganz praktisch und mit sofortiger wirkung nach hause zu radeln.

an der tür hält mich das objekt noch lange fest und sagt nachdenklich:
"manchmal macht mir der kleine angst, weil er genauso ist, wie ich als kind war: so wahnsinnig schnell verletzt und beleidigt, und immer hat er gleich den eindruck, dass er nicht verstanden wird."
"aber du machst das doch sehr gut", finde ich. "du bist so unheimlich geduldig und liebevoll. ich wäre da längst ausgeflippt."
"naja, ich will ja nicht die mittel meines vaters anwenden."
so viel andeutung liegt in diesem satz, dass ich innehalten und nachdenken muss, ob ich fragen kann oder darf, bis das objekt dann von selber sagt:
"die faust, meine ich, das war das mittel meines vaters."
da nehme ich das objekt noch mal fester in arme und küsse seine wange und schweige, weil es nichts zu sagen gibt.

schließlich fahre ich nach hause, satt, zufrieden, aber innerlich so bewegt, dass ich lange nicht einschlafen kann.