Montag, 1. Oktober 2012
into your arms
gestern abend treffe ich mich mit der krankenschwester, um nach einem abstinenten wochenende noch mal so richtig abzustürzen. die krankenschwester ist schwer frustriert wegen ihrem bescheuerten sohn, ihrem bescheuerten freund und ihrer bescheuerten arbeit. nach zwei wodka energy und zwei caipis entspannt sie sich allerdings zusehends und kriecht dann in meine arme.
"ich bin so erschöpft. ich bin einfach müde, ich möchte mich hinlegen und nie wieder aufstehen."
"klingt ja fast wie bei mir und meiner depression."
"mir sagt nie einer, dass ich gut bin, verstehst du? mein sohn hält mich für eine miese mutter, mein chef nörgelt an jeder kleinigkeit und mein freund macht mich die ganze zeit runter, um sein kleines ego aufzubessern. genau so wie früher mein vater. bei meinem vater hab ich auch immer umsonst um liebe gekämpft."
ich halte die krankenschwester im arm und streichle sie ein wenig.
"ich hab einen heidenrespekt vor dir und dem, was du tust. ich hab dir ja schon mal gesagt, ich hätte dauernd angst, dass ich jemanden aus versehen umbringe."
die krankenschwester lächelt dankbar und meint dann:
"das war eine verdammt gute idee, dich heute zu treffen. ich hab manchmal das gefühl, es versteht einfach keiner, dass es mir manchmal echt schlecht geht."

kurz nach zwei werden wir aus der bar gekehrt. die krankenschwester torkelt zur s-bahn, ich setze mich schwankend auf mein fahrrad. spontan schreibe ich der lederjacke eine sms: "bin voll und in der schanze."
drei sekunden später klingelt mein handy und die lederjacke ist dran:
"willst du vielleicht vorbeikommen und bei mir schlafen?"
ich fackle nicht lange und sage zu.
"du musst aber noch was zu trinken mitbringen", sagt die lederjacke. "das ist die eintrittskarte."
"okay!"

gesagt, getan. in eimsbüttel finde ich eine shell-tankstelle. als ich ankomme, kippt mir zweimal mein fahrrad um und der tankwart grinst. dann lalle ich meine bestellung durch die scheibe. beim bezahlen fällt mir zweimal der geldbeutel runter, das geld rollt davon. ein autofahrer, der gerade tankt, hilft mir beim aufsammeln und fragt dann, unter meinen minirock linsend, ob ich nicht mitkommen möchte. ich starre ihn böse an und stapfe empört mit meiner tüte voller bier und whiskey davon.

ich radle mit klirrender tüte richtung lederjacke und freue mich an jeder kreuzung wie ein kind, dass ich noch nicht auf die fresse gefallen bin. ich schaffe es tatsächlich heil bis zur lederjacke, die mir schon im treppenhaus grinsend entgegenkommt, um mir die tüte abzunehmen und mich beim gehen zu stützen.

dann sitzen wir bei bier und schnaps auf dem boden herum und hören musik und lachen sehr viel. gegen halb fünf uhr morgens klingelt es an der tür. die lederjacke kriecht auf allen vieren durch den flur und öffnet. draußen steht eine unheimlich dicke alte frau und mosert über die lautstärke. die lederjacke beteuert, sie würde gleich den bass rausdrehen. dann kommt sie wieder ins zimmer zurückgekrabbelt und schaut mich lächelnd an.
"so eine blöde hässliche alte fotze. die beschwert sich auch immer, wenn ich nach 22 uhr die waschmaschine laufen lasse."

ich sehe der lederjacke in die schönen kalten blauen augen. dann strecke ich die hand aus und berühre die sehnen am hals, die sich zu den muskulösen, sommersprossigen schultern hinunterziehen. die lederjacke hält ganz still und sagt nichts mehr.
während unsere blicke einander jagen und fangen, packt mich die lederjacke und zieht mich sanft an den haaren an ihre lippen. wir küssen und küssen uns, dann hebt mich die lederjacke hoch und trägt mich zum bett.

wir wälzen uns nackt durch die laken. ich bin elektrisiert, aber unentspannt. die lederjacke merkt das, nimmt mich ein weilchen in die arme, bis ich weniger zittere.
"alles gut?"
ich nicke.
doch als die lederjacke in mich eindringt, verliere ich mich endgültig rettungslos im labyrinth meiner düsteren tiefen. die alkoholisierte seligkeit ist mit einem schlag weg. ich falle und falle, bis ich merke, dass mir eine träne über das gesicht rinnt. reiß dich mal zusammen, befehle ich mir noch, doch die lederjacke hält schon irritiert inne.
"was ist denn mit dir?"
anstatt einer antwort schluchze ich los. die lederjacke ist sehr erschrocken.
"hab ich dir weh getan?"
ich schüttle den kopf und heule weiter. die lederjacke nimmt mich vorsichtig in den arm, aber ich spüre das große fragezeichen.
"es hat nichts mit dir zu tun", sage ich, als ich wieder sprechen kann.
"ach schade", sagt die lederjacke, "ich wollte mich schon freuen, dass mal eine frau nach meiner performance vor dankbarkeit weint."
ich muss kichern, werde aber gleich wieder ernst.
"entschuldige, das ist mir wirklich verdammt unangenehm."
die lederjacke sieht mich vorsichtig an:
"willst du drüber reden?"
ich schüttle den kopf.

die lederjacke streichelt mein gesicht und meine haare, bis ich ruhiger werde.
"was denkst du?" fragt sie mich.
ich gehe in mich und erhasche den ersten gedanken in meiner bewussteinsebene.
"ich mag dich sehr gerne."
die lederjacke grinst stolz und geschmeichelt und küsst mich zärtlich.
"es tut mir leid, dass ich so bin", entschuldige ich mich abermals. "das liegt an den depressionen."
"schon gut."
ich bin unendlich erleichtert, dass die lederjacke trotz ihres jungen alters so einfühlsam und geduldig mit mir ist. ich krieche näher an sie heran und schnuppere den zarten duft ihres parfums. die lederjacke lässt mich nicht los, sondern dreht sich mit mir auf die seite, umschlingt mich mit armen und beinen und nimmt meine hände in die ihren.
"schlaf jetzt, wenn du kannst."

ich döse weg und erwache dann wieder so, wie ich eingeschlafen bin: auf der seite, vollkommen umschlungen. die sonne scheint durch die jalousie, und ich merke, meine schulter tut weh. als ich mich umdrehe, wecke ich die lederjacke. sie blinzelt mich schlaftrunken an und zieht mich an sich. ich liege auf ihrer brust und höre dem herzen zu, das fest und regelmäßig schlägt. die lederjacke duftet immer noch gut, obwohl wir zu zweit vier bier und eine flasche whiskey sowie mehrere schachteln zigaretten gekillt haben. meine leber müsste theoretisch kapitulieren, aber ich habe wieder mal keinen kater.

die lederjacke streichelt meinen rücken und meinen po. obwohl ich noch verängstigt bin von letzter nacht, entspanne ich mich nach einer weile. die lederjacke ist ganz sanft. sie küsst meinen hals, meine schultern und meine brüste. ich kann es genießen und spüre vertrauen wachsen wie eine kleine, zarte pflanze.
"katze", sagt die lederjacke, genau wie das objekt.
"mau", sage ich.
die lederjacke beobachtet mich einige zeit, bevor sie vorsichtig fragt:
"willst du mit mir schlafen?"
ich überlege nicht lange und nicke.

diesmal klappt es besser. ich kann erwidern, was mir die lederjacke gibt. wir küssen uns die ganze zeit über und ich fühle mich sehr teenagerhaft, will am liebsten verschmelzen und mich auflösen. als die lederjacke kommt, sehen wir uns in die augen und ich spüre, wie mir das herz in die nicht mehr vorhandene hose rutscht.

verknallt.
doch, irgendwie schon.
so ein bisschen wenigstens.