Sonntag, 27. Februar 2011
von netten nachfragen und bösen serpentinen
(achtung: blutige story, nichts für zarte gemüter!)

nach der schlaflosen objektlastigen nacht von freitag auf samstag war ich gestern abend trotz einstündigem nachmittagsnickerchen komatös müde. das objekt rief mich zwischendurch heimlich aus der arbeit an, um sich zu erkundigen, wie es mir gehe. (entgegen der fadenscheinigen ausrede vonwegen "handy weg" zeigte sich: es geht also doch.) ich freute mich über das bisschen aufmerksamkeit. dann begann das objekt zu stottern, was meist eine unangenehme bitte einleitet. dann war es schließlich raus: ob ich grundsätzlich theoretisch in ausnahmefällen bereit wäre, mich seines lütten anzunehmen. in der extremsituation mit dem haftbefehl schien ihm klar geworden zu sein, dass es situationen gibt, in denen irgendein babysitter nicht weiterhilft:
"ich brauche jemanden, der nicht nur vor ort ist, sondern dem ich vertrauen kann und dem ich das auch zutraue."
obwohl ich wusste, dass das objekt die bitte als zumutung empfand, nicht zuletzt, da der kleine sich nur schwer selbst beschäftigen kann, freute ich mich tierisch, da mir der objekt-sohnemann zwischenzeitlich sehr ans herz gewachsen war.
"klar", sagte ich und bemühte mich, mir die freude nicht anmerken zu lassen. "allerdings warne ich schon mal vor: bei mir ist es ziemlich langweilig und ich bin auch eher streng. das musst du ihm voher verklickern. hier ist nix abenteuerspielplatz wie bei dir."
"ich weiß", sagte das objekt mit einem lächeln in der stimme. "du bist toll." dann hielt es inne:
"ich muss schluss machen, da kommt ein notfall..."
das objekt verabschiedete sich hastig, aber dankbar.

da erhielt ich eine sms vom subjekt II. ob ich noch mit auf party komme. wow!! soviel männliches engagement an einem einzigen tag war ich nicht gewohnt.

obwohl meine lust gegen null tendierte und mein körper mit steinen gefüllt zu sein schien, hübschte ich mich auf, schwang ich mich aufs rad und fuhr los. nach zwanzig metern merkte ich, dass übermüdung und sport nicht gut zusammengingen. das komische gefühl, dass der kopf dem körper atemlos hinterherhechelt, erinnerte mich an den effekt schlechter pillen. aber ich fuhr einfach weiter, in der hoffnung, der kreislauf würde irgendwann hochfahren und den nebel vor der stirn vertreiben.
dann kam die strecke, in denen sich der weg in serpentinen den berg hinunter schlängelte. diesen sehr engkuriven weg bin ich gefühlte 50 mal gefahren. ich kannte ihm im schlaf.
oder auch nicht. in der vorletzten kurve geriet ich ins trudeln und ehe ich mich versah, lag ich auf dem asphalt. nach der ersten schrecksekunde begann ich, vorsichtig die glieder zu bewegen. gottseidank schienen arme und beine noch zu funktionieren. dann entdeckte ich im fahlen laternenschein blut auf der straße. mein blut.
ich merkte, dass die handflächen schmerzten und die strümpfe (obwohl heil geblieben) an den knien klebten. die rechte handfläche wies bei genauer betrachtung nur leichte aufschürfungen auf, die linke sah allerdings wesentlich übler aus. es fehlte viel haut und offenbar auch fleisch. ich packte ein taschentuch drum herum, dann fuhr ich weiter.

mit gesenktem kopf bezahlte ich vor dem club eintritt und rannte dann erstmal auf toilette, um die strümpfe auszuziehen und die knie zu begutachten. nunja, schürfwunden eben. wie bei einem schulkind, das zu wild herumgetobt war. ein bisschen klopapier und fertig.
dann wusch ich die hände. rechts war nicht weiter schlimm, der fleischbrei links sah dramatischer aus. außerdem hatten sich zwei, drei steinchen in die wunde geschoben. die mussten erstmal raus. mit den fingern ging das ja wohl schlecht. aber ich fand eine nagelfeile in der handtasche, die ich kurz über die flamme meines feuerzeugs hielt, dann biss ich die zähne zusammen und machte mich an die arbeit. so mussten sich operationen im mittelalter angefühlt haben. einige minuten später hatte ich es jedoch geschafft. beim waschen schossen mir kurz die tränen in die augen, aber ich bemühte mich um tapferkeit. in meiner tasche fand ich armstulpen von der letzten party, die zog ich über, um die läsionen zu verdecken. links, wo es fröhlich blutete, schob ich noch papierhandtücher darunter. jetzt sah alles aus, als wäre nichts passiert.

dieser moment der selbstzufriedenheit dauerte keine zwei sekunden. dann machte ich nämlich den fehler, den kopf zu heben und in den spiegel zu sehen: meine linke wange war bis zum kinn zerschrammt, blau und dreckig. ich sah aus, als wäre ich unter die hottentotten gefallen. ach du kacke. und im saal wartete das subjekt II auf mich.

also gesicht waschen, make-up neu auflegen. das blau ließ sich ganz gut überdecken. zum glück war bis auf die unterlippe, die etwas mehr volumen hatte als sonst (andere frauen zahlen 400 euro für eine aufspritzung!), nichts weiter angeschwollen. die schrammen am kinn allerdings waren ein problem. auch nach drei lagen puder schimmerten sie noch dunkel durch das makeup.
es half alles nichts. ein bisschen was würde man eben sehen. zum glück war es drinnen finsterer als hier auf dem klo unter der neonbeleuchtung.

nachdem ich noch einmal den eyeliner nachgezogen hatte, mischte ich mich mutig unter menschen. nachdem ich nach fünf minuten keine schrägen blicke geerntet hatte, ging ich an die bar und bestellte ein bier. der barkeeper wirbelte herum, schob mir die flasche hin und guckte mich dann an. guckte nochmal und schien zu überlegen. doch dann beschloss er offenbar, doch nichts zu sagen. note to myself: die beleuchtung an der bar war schon wieder zu viel licht für mein zerschlagenes gesicht. also fix ins dunkel. und tanzen heute nur ganz weit weg vom stroboskop.

doch ich war nicht schnell genug. bevor ich mich aus dem ungünstigen licht an der bar herausbewegen konnte, kam das subjekt II auf mich zu. es setzte zur umarmung an, hielt aber dann inne.
"mensch, was ist denn mit dir passiert, hast du dich geprügelt?! das sieht ja schlimm aus!"
nicht ganz die reaktion, die ich mir erhofft hatte.
"fahrradunfall", zuckte ich lakonisch die schultern.
das subjekt II starrte mich immer noch fassungslos an.
"du kannst das doch nicht einfach überschminken, das musst du ordentlich versorgen!"
"quatsch, bist du irre, meinst du, ich stell mich komplett verpflastert auf die tanzfläche?!"
das subjekt II schüttelte den kopf. dann schmunzelte es und meinte:
"naja, irgendwie ist das ja auch schon wieder cool. du siehst ein bisschen aus wie ne wilde piratenbraut."
schon besser. dann wirken wir heute also etwas extravagant.
das subjekt II umarmte mich nun vorsichtig, doch als meine hand zwischen uns geriet, entfuhr mir ein schmerzenschrei.
"noch irgendwelche verwundungen?"
"geht schon", sagte ich, "nur die hand hat ein bisschen mehr abgekriegt."

so richtig wohl fühlte ich mich allerdings den ganzen abend über nicht. ich saß viel in einer dunklen ecke herum. ein paar mal überkam mich ungeachtet des objekt-nähe-reloads der spontane impuls, das subjekt II zu umärmeln und den kopf an seiner schulter abzulegen. doch das subjekt II trug ein weißes hemd und eine sehr schicke nadelstreifenweste, sodass ich geistig schon meine blut- und makeup-spuren darauf sah. also hielt ich mich fern und verabschiedete mich irgendwann zu einer für meine verhältnisse recht frühen stunde.

das subjekt II war enttäuscht. und zog dann die nächste überraschung aus dem ärmel:
"sag mal, wollen wir mal wieder zusammen essen gehen?"
mir klingelten die ohren. aber hallo. interessierte sich da jemand für mich? hatte da einer etwa plötzlich begriffen, was ich so erwartete?
"ja, sicher", freute ich mich.
ganz auf der initiativ-welle schlug das subjekt II auch noch ein restaurant vor.
"gern", meinte ich. "ich ruf dich an."
das subjekt II strahlte.
wir verabschiedeten uns ein wenig steif, dann zog ich meiner wege. schließlich musste ich mich gleich noch ordentlich verpflastern.