Sonntag, 20. Februar 2011
solange die füße tragen
warum ich so gern tanze, wurde ich neulich gefragt.
"weiß nicht, vielleicht, weil es dann irgendwie so aussieht, als sei mein leben in bewegung - kontrolliert, zu einem vorgegebenen takt?"

vor allem im nichtnüchternem zustand entwickelt man ja manchmal geradezu eine ironman-kondition. besonders, wenn auch noch das dj-set stimmt. da ich mir aller unvernunft zum trotz halbwegs der risiken bewusst bin, konsumiere ich an solchen abenden literweise antialkoholika, zum vergnügen des barkeepers, der mich dann immer anstupst und augenzwinkernd sagt: "dir kann man aber auch nichts gutes tun, hm?"

nach mehreren zurückhaltenden wochen mit miesem, fiesem arbeitsalltag und stress gestern endlich also mal wieder richtig auf die kacke gehauen. das rächte sich prompt: beim beats-wegschrubben vergaß ich die zeit. plötzlich war es halb vier. nüscht getrunken. der kreislauf drohte sich zu verabschieden. ich stemmte mich gegen den sich drehenden raum und wankte zur bar.

dabei fiel ich jemandem in die arme. nase in armbeuge schnupperte ich. es roch gut und irgendwie vertraut. dann blickte ich auf. surprise, surprise - es war das objekt! es hatte sich also offensichtlich von seinem unfreiwilligen abenteuer erholt und war ins nachtleben zurückgekehrt.

das objekt war mindestens genauso überrascht wie ich. nach zwei sekunden erstaunten starrens umschlang es mich und drückte mich herzlich auf objektart.
"hey... du glühst ja total!" begrüßte es mich.
"ich muss was trinken", ächzte ich und angelte nach meiner wasserflasche. das objekt checkte die lage.
"und kreidebleich um die nase ist die madame auch. du sollst den scheiß doch lassen."
"gut, danke der nachfrage, und selbst?" konterte ich scherzend. das objekt lächelte ein kleines lächeln und seufzte dann nur: "joa... lange nicht gesehen."

ich fühlte mich verlegen und sehr fremd mit dem objekt so zwei zentimeter vor meiner nase. der schwindel setzte wieder ein. das objekt packte mich und zog mich richtung wand, damit ich mich anlehnen konnte.

dann sah ich mir das objekt genauer an. es sah anders aus. die haare etwas kürzer und sehr streng zum pferdeschwanz gebunden, das gesicht glatter und nicht mehr von augenringen dominiert, die schönen weichen lippen sehr ernst und der blick klarer denn je. ich wollte zur frage ansetzen, aber das objekt kann mir zuvor:
"ich bin seit vier wochen clean."
ich staunte bauklötze. das erklärte auch die ginger-ale-flasche in seiner hand.
"wie kommt´s?"
"hm", das objekt zuckte die achseln. "ich konnte einfach nicht mehr. ich war ganz unten."

ich suchte nach einem sentiment. doch da war nichts, nicht einmal mitleid. ich fühlte mich plötzlich sehr müde und tot.
das objekt spürte meine distanz. es rückte näher an mich heran. dann küsste es mein schlüsselbein und legte den kopf auf meiner schulter ab.
"ich hab so oft dran gedacht, mich auszuklinken und einfach zu dir zu fahren. aber ich konnte nicht anrufen, ich habe kein handy mehr."
so, da hatte es also dran gedacht. aber es hatte es nicht getan. die handy-geschichte bezweifelte ich, die kannte ich schon vom sommer: handy kaputt, verloren, karte leer, immer schön abwechselnd in wiederholung.

als wir so sichtlich vertraut dastanden und ich versuchte, analog zur physisch vorhandenen nähe auch wieder die emotionale herzustellen, tauchte die objekt-freundin auf. das objekt und ich fuhren auseinander und brachten rasch anstandsabstand zwischen unsere körper. die objekt-freundin platzierte sich unverrückbar neben uns und begann ohne mich auch nur anzusehen das objekt vollzulabern. das objekt sah zu boden und sagte nichts. ich wusste, wie es diese situationen hasste.
nach mehreren minuten des monologs begann der objekt-freundin die mangelnde reaktion des objekts offenbar zu missfallen. sie dampfte etwas beleidigt ab. das objekte lächelte mich schief an:
"joa, das ist nun mein leben."
"musst du selber wissen, wie dir das gefällt", sagte ich eine spur eisiger als beabsichtigt. das objekt, empfänglich für solche zwischentöne, sagte daraufhin betreten:
"du, ich werd gleich nach hause gehen."
wenigstens hatte es das "ich" noch nicht verlernt.
das objekt umarmte und küsste mich. ich fühlte mich stumpf wie ein stück trockenes holz und irgendwie sehr erschöpft.

auf dem nachhauseweg wurde mir klar, dass ungeachtet aller zuneigung von seiten des objekts etwas wichtiges verloren gegangen war: mein vertrauen. und mit dem vertrauen auch ein nicht unbeträchtliches stück interesse. zuhause im bett verspürte gleichgültigkeit und resignation. dann schlief ich ein.