Sonntag, 13. Februar 2011
ich weiß, du wirst weinen
liebe mama, du kannst so tapfer sein am telefon.

ich weiß, du hast immer gehofft, dass ich zurückkommen werde, mama. aber irgendwann im leben ist man zu müde, um noch einmal ganz von vorne anzufangen. das lehramt wird ein großer kompromiss für mich, ein spagat zwischen meinen wünschen, bedürfnissen und der realität. trotzdem hoffe ich, dass das ein wenig stimmt, was mir mein cousin mit auf den weg zu geben versuchte: "vielleicht kommt etwas zurück, was du nicht erwartest hast."

dennoch muss ich vor mir selbst ehrlich zugeben, dass ich mich eine rückkehr nach hause (?) mindestens noch einmal so viel kraft kosten würde wie der weg hierher. hier, wo ich mich anderthalb jahre nichts als fremd gefühlt habe. wo ich oft dachte, ich kann nicht mehr, diese talsohle muss doch irgendwann einmal ein ende haben, es kann doch nicht immer nur von der einen zur nächsten katastrophe gehen, beruflich, partnerschaftlich, gesundheitlich, zwischenmenschlich. ich habe mich nie zuvor so verlassen und verzweifelt gefühlt wie in dieser zeit. aber es ist mir ein kleines kunststück gelungen, das ich mir selbst nicht zugetraut hätte: ich habe mit der entbehrung gelernt. ich bin härter geworden, zu mir selbst und zu anderen. ich bin ruhiger geworden, soweit man das von einer stetig suchenden behaupten darf. ich vertraue nur noch mir selbst und bestimmten, ausgewählten personen zu einem gewissen teil. ich habe mir selbst ein zuhause gegeben, wenn auch nur ein nomadenzelt, damit ich weiter den sternen nachlaufen kann.

ich kann nicht mehr, mama. ich will nicht mehr.

du sagst, ich tue dir so weh. es tut mir selbst nicht weniger weh. ich träume so oft von dir, von euch, und wache dann auf und weiß, ich bin alleine und wäre ich bei euch, ich könnte vorbeikommen für eine umarmung (überhaupt, umarmungen, wie die mir hier fehlen!). den duft meines kinderzimmers atmen. dem leisen geräuschpegel des ständig laufenden fernsehers lauschen.
die kurzurlaube bei euch sind kleine himmelslücken im wolkensturm. sie sind geborgenheit, wie ich sie nicht mehr kenne. sie fehlt mir hier immerzu.

trotzdem: ich kann nicht mehr zurück. ich will nicht mehr zurück.

nach abenden wie gestern, nach einem guten gespräch mit einem quasi-seelenverwandten, weiß ich, dass ich dem ständigen suchen zum trotz hier inzwischen etwas gefunden habe. nicht unbedingt ein zuhause. but a place to be. im fahrtwind der einfahrenden u-bahn spüre ich den puls des lebens und nicht mehr den wunsch, mich aufs gleis zu werfen.

ich weiß, du wirst weinen. und ich weiß, du hast viel geweint, nachts, nach gesprächen, in denen ich weinte und sagte, ich kann nicht mehr, mein leben macht keinen sinn, ich werde nie irgendwo zuhause sein. du hast viel ausgehalten für mich, weil ich so wenig aushalte. ich bin immer noch ein sorgenkind, das du so gerne in die arme nehmen möchtest, dann und wann und nicht nur zwei- oder dreimal im jahr.

ich liebe euch von herzen. ich liebe euch anders als ihr mich liebt, aber es nimmt sich nichts, denn die zeit, in der ich emotionen aufrechnete, ist längst vorbei.

dennoch, mama, ich komme nicht zurück. jetzt ist noch nicht die zeit dafür. aber ich werde für euch da sein, wenn ihr mich braucht.

ich weiß, du weinst jetzt, aber ich weine mit dir und ich weiß, dass du das weißt.

es tut mir so leid. aber ich kann nicht anders. nicht heute.