Sonntag, 31. Oktober 2010
family tree, subjekt II, objekt und der dritte mann
meine eltern habe ich nun doch noch gesehen. gestern nachmittag, sie kamen gerade aus blankenese, "ein scheußliches viertel, da möcht ich nicht wohnen, mit all diesen treppenstufen!" (o-ton mama), holte ich sie am jungfernstieg ab. wie immer hatte ich dieses gefühl zwischen enormer distanz und enormer verbundenheit, das mich ganz wuschig macht und in einer dieser steifen unarmungen mündet, die ich nicht leiden kann. so tätschelte man sich unbeholfen die schultern, während sich in mir die innere leere wie eine große luftblase breitmachte.

meine eltern waren ebenfalls angespannt und etwas verstimmt. nachdem das reiche-leute-gucken in blankenese schon nicht so funktioniert hatte, fing es auch noch an zu regnen - wie immer, wenn ich mit meinen eltern durch die stadt ziehen möchte. bei regen ist mein vater keinen schritt weit mehr zu bewegen, so wie er sich auch grundsätzlich anscheinend immer weniger bewegen will. so mussten wir trotz bester regen-ausstattung den geplanten bummel auf der stelle abbrechen. obwohl es erst 17 uhr war, machten wir dann mit dem wunschprogramm meiner eltern weiter: essen. ich schlug ein restaurant in st. georg vor, was auf begeisterung stieß, da in st. georg auch promis wohnen.

wie sich herausstellte, trägt meine mutter neuerdings ein hörgerät. das ist allerdings schlecht eingestellt und nutzt daher nicht viel. die unterhaltung gestaltete sich etwas schleppend. ich gab schließlich auf, allzu viel zu fragen, denn meine eltern redeten auch von alleine. sie begannen mit der beschreibung des menus im bordrestaurant des ices, dann folgte die beschreibung des abendessens vom vortag und die farbenfrohe schilderung des frühstückbuffets am nächsten morgen, durchgehend attributiert mit entweder "fein" oder "nix besonderes" - was nicht viel zu sagen hat, denn meine eltern kennen, glaube ich, kein wirklich schlechtes essen. ich sollte ihnen vielleicht mal meine 69-cent-pasta von aldi vorsetzen.

als der kellner kam, um die bestellung aufzunehmen, war es wieder an der zeit des fremdschämens. während mein vater und ich nach überfliegen der spärlichen karte sofort wussten, was wir wollten, konnte sich meine mutter nicht entscheiden. der kellner kam also nach fünf minuten noch einmal. auch dann wusste meine mutter noch nicht so recht, hatte aber bereits einen favoriten: "rib eye vom kalb mit ofenkartoffel". allerdings wusste sie nicht, was ein "rib eye" ist. sie fragte zunächst mich als nicht-fleischfresserin, die ich es mit meinen englischkenntnissen versuchte: "das heißt rippe und auge, also irgendetwas aus den rippen in einer vermutlich ovalen form, so wie ein auge eben aussieht."
meine mutter, mit meinem erklärungsversuch unzufrieden: "ich ess keine augen!"
der kellner, von einem bein auf das andere wippend, unterdrückte ein grinsen. das verging ihm aber gleich, denn er war der nächste, der erklären sollte, was ein "rib eye" sei. der kellner war offenbar fleischlich ebenso wenig bewandert wie ich und wand sich wie ein aal. er holte schließlich einen kollegen zur hilfe. ich nutzte die sekunden dazwischen, um zu sagen: "mama, nimm das doch einfach. es ist irgendein kalbfleisch aus der rippengegend, und rippchen hast du schon oft gegessen, das ist sicherlich nicht viel anders und sehr lecker zubereitet."
"ja weißt du denn, was mir neulich passiert ist? bin ich beim metzger und will kalbsschnitzel kaufen und was packt mir die verkäuferin ein? rinderrouladen. hab ich zurückgebracht. nein, ich will schon wissen, was ich da bestelle. am ende sind das doch augen!"
ich lehnte mich in meinem stuhl zurück. inzwischen versuchten sich drei didaktisch nicht besonders bewanderte restaurantangestellte mit erklärungsmodellen. sämtliche leute glotzten zu uns herüber. am ende verstand meine mutter immer noch nicht, was ein "rib eye" ist, ließ sich aber dann breitschlagen, es doch zu nehmen. ich seufzte. das hätte wir auch schneller haben können. ich bestellte rasch einen martini.

während des essens drehte sich die unterhaltung dann zum glück endlich nicht mehr um mahlzeiten. ich erfuhr die neusten krankheitsgeschichten aus unserer spärlichen verwandtschaft. mein vater bekam nach dem zweiten bier kleine augen. meine mutter drehte weiter auf. ich bestellte noch einen martini und begann, mich etwas zu entspannen. am ende des abends zahlte mein vater ohne mit der wimper zu zucken eine horrente rechnung.

auf dem weg zum hotel meiner eltern fragte meine mutter dann fatalerweise nach meinem liebesleben. ich brachte die kurzzusammenfassung der letzten wochen: subjekt weg, objekt seit einer woche in festen händen, subjekt II im anmarsch mit date an diesem abend. meine mutter, die mich trotz allem recht gut kennt, vertrat die forsche meinung, ich sei viel zu objekt-verstrahlt für einen neustart mit subjekt II. nichtsdestoweniger war sie heilfroh, dass das objekt aus dem verkehr gezogen schien.

irgendwann verabschiedete ich mich dann und fuhr in den club, wo ich mit subjekt II verabredet war. kurz, bevor ich ankam, erhielt ich eine nachricht, dass subjekt II noch auf einer privatfeier sei und sich verspäten würde. ich dachte "na gut" und ahnte nicht, dass sich das alles schon wieder gar nicht gut anging.

vor dem club lief ich erst einmal dem dritten im bunde in die arme. der hatte gerade seine freundin nach hause gebracht und wollte jetzt noch etwas gepflegt feiern. vor dem club gab es kunstschnee, mit dem wir uns eine kleine schneeballschlacht lieferten. plötzlich nahm der dritte meine hand und zog mich an den zaun. er guckte mich herzzereißend jungenhaft an und sagte dann: "heute habe ich endlich mal genug getrunken, dass ich dir das sagen kann. ich fand das immer sehr schön mit uns."
"ich auch", sagte ich und war ganz gerührt. ich spürte, dass der dritte gern heute nacht eine weitere fortsetzung unseres abenteuers erlebt hätte. und ich ahnte, dass weder subjekt II noch objekt dabei mitspielen würden.

als ich mit dem dritten endlich die geheiligten hallen betrat, war subjekt II immer noch nicht angekommen. stattdessen kam mir das objekt entgegengeschossen, fröhlich und angetrunken. es knuddelte und küsste mich. ich hoffte, dass sich subjekt II noch fünf minuten zeit ließ, bis ich aus dieser verfänglichen situation entflohen war, und dass auch die objekt-freundin gerade nicht guckte. doch wie sich herausstellte, war das objekt heute ganz alleine unterwegs. das war verwirrend. noch verwirrender wurde es, als das objekt dann ein schätzungsweise 20-jähriges, dümmlich kicherndes girlie anzugraben und abzuschleppen begann. ich guckte und guckte und bemerkte nicht, dass mich der dritte mann beim glotzen beobachtete.
"macht dir das was aus?" fragte der dritte mann mich dann unvermittelt.
"wiebitte?" erwiderte ich und fühlte mich ertappt.
der dritte mann mit dem unglaublich guten zwischenmenschlichen gespür nagelte mich fest, indem er die frage wiederholte.
"naja, es ist mir nicht egal, kannste dir ja denken, aber ich kenne ihn doch und wir haben ja unser agreement. und so ist er eben und ich will ihn auch nicht ändern. ich finde das nur scheiße, weil er doch jetzt wieder eine freundin hat."
"die sind nicht fest zusammen."
"das scheint mir nun auch so. weiß sie eigentlich, was das objekt so abzieht?"
"ich denke nicht. ich hab ihm auch schon oft gesagt, lass es, wenn dir an der frau was liegt. aber er braucht das anscheinend. ist eben ein jäger."
ich dachte an die zarte, blonde objekt-freundin und ihr liebes lächeln und fragte mich, ob sie wusste, worauf sie sich eingelassen hatte und ob sie den lügen des objekts wohl glaubte. sie musste entweder unglaublich naiv oder unglaublich stark sein. oder beides, so ein bisschen wie ich auch.

wie immer, wenn mich menschen traurig machen und sie in meiner achtung zu sinken beginnen, wurde ich müde. dann tippte mir jemand von hinten auf die schulter. ich fuhr herum und wollte das subjekt II freudig begrüßen - doch vor mir stand ein blonder bengel von schätzungsweise 20 jahren.
"hey, ich wollte nur sagen, sie sehen voll gut aus!"
er grinste ein wenig unsicher und sehr niedlich. ich musste lachen:
"hey, ich bin voll alt!"
er grinste noch breiter:
"das macht aber nichts."
ich wechselte ein paar worte mit dem buben, bis er dann begann, mich etwas aufdringlicher zu umwerben und mich einzuladen, mit ihm und seinen kumpels über den kiez zu ziehen. ich lehnte ab und floh schließlich auf die tanzfläche - wo ich endlich subjekt II traf. großes hallo, anschließend gemeinsames tanzen. alles gut?

mitnichten. gerade, als sich eine zufriedene ruhe in mir breitmachen wollte, tauchte das objekt auf und fuhr mir in die parade, indem es neben mir zu tanzen und mich dabei anzublinzeln begann. dummerweise hatte es erfolg damit. subjekt II verschwand. das objekt packte mich und gab mir einen kuss. ich war zu perplex, um zu reagieren. was war das für ein scheißspiel? überraschenderweise eilte mir die neue objekterungenschaft des abends zur hilfe. die hatte das kleine intermezzo wohl beobachtet und musste ebenfalls ihr revier markieren. das tat sie, indem sie sich auf das objekt stürzte und es gewissermaßen von der tanzfläche knutschte. das objekt guckte doof aus der wäsche. tja, siehste mal. mit den eigenen waffen schlagen, nenne ich das.

den rest abends verbrachte ich damit, die positive stimmung zwischen mir und subjekt II zu reanimieren. das klappte nicht so recht. zwei bier später bekam ich kopfschmerzen und verabschiedete mich nach hause. dort lag ich dann lange wach und dachte über mein verrücktes, konfuses leben mit family, subjekt II, objekt und dem dritten mann nach. glücklich macht es mich nicht. aber wenigstens bleibt alles aufregend.