Sonntag, 10. Oktober 2010
krise und frieden. eine erfolgreiche vermittlung
nach zwei langen wochen konnte ich gestern endlich notieren: object found. ich betrat gerade die geheiligten hallen, als ich es schon entdeckte: unter einem langen ledermantel verkrochen saß es vollkommen in sich gekehrt an der bar und war im begriff, sich mal wieder zuzuschütten. sein wahrnehmungsradius schien sich auf den einer ameise zu beschränken, denn es bemerkte weder mich noch irgendetwas um sich herum. da ich ohnehin sauer war/sein wollte, ging ich erst einmal zur garderobe, um meine 100 schichten herbstbekleidung abzulegen. dann sagte ich einem bekannten hallo. anschließend setze ich mich mit abstand zum objekt ebenfalls an die bar und bestellte ein bier.

da wir beide extreme geruchsmenschen sind, können wir unsere anwesenheit in einem gewissen umkreis riechen - also beispielsweise auch, wenn wir einander die rücken zukehren. so wartete ich, dass sich der wahrnehmungsradius pheromonbedingt langsam weiten würde. dies funktioniert, wie ich gleich feststellen sollte, auch unter starkem alkoholeinfluss. nach kurzer zeit zeigte das objekt anzeichen von frisch erwachtem bewusstsein, berappelte sich und schlurfte zu mir herüber. dann krabbelte es auf den barhocker neben mir.

toll. da saßen wir nun. mir fiel auf, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte. somit blieb ich stumm und verzichtete auch auf eine umarmung. das objekt lümmelte sich über den tresen und versank wieder in seiner welt.
das war mir zu doof. ich stupste energisch seine schulter:
"sag mal... alles in ordnung bei dir?"
das objekt zuckte die schultern und nickte und schüttelte den kopf in einer bewegung:
"ich bin nur kaputt."
"schlechte laune?"
"hmhmhmhpf. die können mich heute alle mal am arsch lecken."
klare ansage. ich rutschte vom hocker und ging.

zwei stunden später, nachdem ich dank eines hervorragenden dj-sets sehr lange sehr nett tanzen durfte, begegneten wir uns wieder im nebenraum. das objekt hing auf der couch. zunächst dachte ich, es schliefe, aber es hatte die augen geöffnet und wirkte irgendwie traurig. da ich immer noch sauer und auch traurig war und ich mich trotzdem oder deshalb fürchterlich nach einer liebenden geste sehnte, setzte ich mich daneben. ich erhaschte einen blick, dann wanderte die hand des objekts in richtung meines oberschenkels. es begann, mit dem finger das muster meiner strümpfe nachzuzeichnen. ich sagte nichts. das objekt blieb ebenfalls stumm. plötzlich aber sprang es auf und lief aus dem raum.

noch bevor ich mich von der merkwürdigkeit des augenblicks erholt hatte, kam ein gemeinsamer freund herein - unser dritter im bunde und manchmal auch im bette. nummer drei freute sich ganz offenherzig, mich zu sehen, pflanzte sich neben mich und umarmte mich.
"hast du schon das objekt gesehen?" fragte ich.
"ja, ich hab ihm gerade hallo gesagt."
"der ist heute aber echt scheiße drauf, oder."
der dritte im bunde war erstaunt:
"warum? zu mir war er ganz normal."
jetzt war ich erstaunt.
"vorhin, nachdem wir uns zwei wochen nicht gesehen hatte, sagte er zu mir, es könnten ihn heute alle mal am arsch lecken."
der dritte im bunde, der das objekt schon mehrere jahre kennt, war jetzt nicht nur erstaunt, sondern entsetzt:
"DAS hat er zu dir gesagt? das ist aber überhaupt nicht typisch für das objekt."
"ja, keine ahnung, vielleicht falle ich ihm ja auf die nerven."
"glaub ich nicht. der ist manchmal so. dann meldet er sich auch ewig nicht."
der dritte, der ein sehr gutes gespür für zwischenmenschlichkeiten hatte, nahm mich tröstend in den arm. so saßen wir da, als das objekt zurückkehrte.
"ich tanz noch ein lied, dann gehen wir, ist das okay für dich?", sagte es unwirsch zum dritten.
der dritte nickte. das objekt drehte sich auf dem absatz um und ging wieder.
der dritte sah mich fassungslos an:
"sag mal, was hast du denn verbrochen?"
"wie gesagt, ich bin ratlos. aber irgendwas stimmt nicht, fürchte ich."
"der ignoriert dich total! das ist unverschämt!"
soviel anteilnahme und fürsprache taten gut. ich sah den dritten mann flehentlich an. er verstand sofort:
"ich geh mal rüber und löchere ihn. aber glaub bloß nicht, dass ich dir dann alles erzähle!"
er grinste sein knabenhaftes grinsen und knuddelte mich noch einmal. ich musste lächeln. für sein 23 jungen jährchen war der dritte einfach unschlagbar sozial kompetent. jedenfalls cleverer und mutiger als ich und das objekt zusammen.

während der dritte als diplomat operierte, holte ich meine sachen beim garderobenmann. der garderobenmann verwickelte mich wie immer in einen charmanten smalltalk. ich wusste, dass er ein auge auf mich geworfen hatte. aber im moment interessierte mich nur eins: die ergebnisse des krisengesprächs. also begab ich mich wieder an den tresen, wo mich der dritte nach den krisenverhandlungen treffen wollte.
ich schlüpfte gerade in meine niegelnagelneue second-hand-nicki-jacke, als ich eine überraschung erlebte. statt des dritten kreuzte das objekt auf und postierte sich betont selbstbewusst vor mich. daraus konnte ich schließen, dass ihm etwas sehr unangenehm war.
das objekt suchte meinen blick und konstatierte:
"der dritte sagt, du sagst, ich sei komisch drauf."
"exakt. heute abend bist du mehr als komisch." soviel grimmigkeit hatte ich gar nicht in meine stimme legen wollen, aber sie war da und ließ sich nicht zurückhalten.
das objekt schlug die augen nieder. dann flüsterte es:
"tut mir leid. tut mir leid. manchmal bin ich so... aber ich hab dich lieb. ich hab dich so-so lieb."
das objekt breitete zögerlich die arme aus. ich überlegte einen moment. können wir das so gelten lassen? naja, okay. ich kroch in seine arme. das objekt hielt mich ganz lange ganz fest und vergrub sein gesicht an meinem hals. dann richtete es sich auf, streckte sich und gab mir einen kuss auf die stirn.
"bis bald."

ich hoffe doch. wenn du dich morgen noch an das erinnerst, was du heute im rausch gesagt hast.