Sonntag, 10. März 2013
zwischen arktis und antarktis liegt ein warmer ort
als ich gestern nacht das haus verlasse, empfängt mich draußen die weiße hölle. der schnee fällt zwar weniger dicht als am nachmittag, aber der sturm hat noch mal mächtig zugelegt. nach fünf metern überlege ich, ob ich umkehren und zuhause bleiben soll. doch dann kämpfe ich mich weiter in richtung u-bahn, beide hände vor gesicht und augen haltend.

weil ich nicht viel sehe und der schnee so tief ist, brauche ich deutlich länger als gewöhnlich und die bahn ist schon weg. 20 minuten warten oder weiterlaufen und den bus nehmen? und was, wenn der bus ebenfalls schon weg ist oder gar nicht kommt? fragen, die ich mir in einer großstadt bislang selten stellen musste. doch ich habe glück: der bus hat eine knappe viertelstunde verspätung und biegt genau in dem moment um die ecke, als ich die haltestelle erreiche.

drinnen ist es brechend voll. ich quetsche mich zwischen eine horde laut singender assis und versuche, mich möglichst unsichtbar zu machen. dann muss ich mich gedulden, denn der bus kommt nur schleichend voran und alle assis wollen genau wie ich bis zur endhaltestelle.

nach gut einer stunde on the road komme ich endlich im club an. dort ist es leer. ich überlege, ob mir das gefallen soll oder nicht. ich rauche eine zigarette und finde es dann doch irgendwie angenehm. lauter ältere pärchen und ein paar versprengte exoten. die üblichen verdächtigen sind vermutlich alle auf der konkurrenzveranstaltung.

plötzlich stehen die krankenschwester und mr. shyguy vor mir.
"boah, was für eine fahrt", ruft mr. shyguy, der wie die krankenschwester von außerhalb kommt und immer rund 25 km anfahrt hat. "wir haben fast eine stunde hierher gebraucht!"
"frag mich mal", erwidere ich. "das mit dem bus war die nackte katastrophe."
die krankenschwester lacht und umarmt mich fest. wir freuen uns, da wir uns schon lange nicht mehr gesehen haben.

während mr. shyguy tanzen geht und ich mit der krankenschwester rumsitze und rede, füllt sich der club langsam. unter anderem hat auch t. den trip durch den schnee gewagt und steht gegen kurz nach drei mit rot gefrorenen wangen und nase vor uns.
"was ist mit dir passiert?!" fragt die krankenschwester entgeistert. "das sind ja schon fast erfrierungen!"
"jo", sagt t. cool, "es kam kein taxi."
"wie, es kam kein taxi", hake ich nach. "und wie bist du jetzt hier?"
"gelaufen", sagt t. und grinst.
"du bist ja irre", finden die krankenschwester und ich.
"hat auch fast anderthalb stunden gedauert. und jetzt bin ich so platt, dass ich eigentlich gar nicht mehr tanzen mag."
t. winkt der barfrau und ordert erstmal einen wodka energy.

die krankenschwester guckt t. an und flüstert mir dann zu:
"das ist ja eigentlich voll der hübsche."
"ja, ne, find ich auch", sage ich.
die attraktion scheint sogar auf gegenseitigkeit zu beruhen, denn t., der das gegenteil vom objekt und ziemlich zurückhaltend ist, beginnt, der krankenschwester auf die brüste zu starren.
ich nicke der krankenschwester kurz zu und entferne mich dann diskret, um nicht zu stören, was da am entstehen war.

als ich eine halbe stunden später wieder vorbeikomme, steht die krankenschwester alleine da.
"na", frage ich. "nettes gespräch gehabt?"
"ja", sagt die krankenschwester.
"und?"
"nix und", zischt die krankenschwester. "ich habe doch nen freund."
"du meinst diesen paranoiden heini? seid ihr immer noch zusammen?"
"wieder", seufzt die krankenschwester.
"und, glücklich?"
"das wird immer schlimmer. nach jeder trennung behandelt der mich mieser. und ich bin ja ein selbstkritischer mensch. ich frag mich die ganze zeit, ob nicht was von dem stimmt, was der mir alles an den kopf wirft."
"kenn ich", sage ich. "hatte ich auch schon mal. und ich hab den gleichen fehler gemacht wie du: ich habe dieses arschlochgehabe ernst genommen und ständig versucht, mich zu ändern. in wirklichkeit aber füttert man damit die egomanie des anderen und dessen komplexe werden noch schlimmer."
"du hast ja irgendwie recht... nur, mit seinen anschuldigungen und drohungen kriegt er mich jedes mal wieder."
"ihr könnt irgendwie nicht mit und nicht ohne einander. er braucht jemanden, den er klein machen kann und du brauchst jemanden, der dich demütigt und dich damit in deinem selbstbild bestätigt."
"aber ich liebe den doch", meint die krankenschwester im brustton der überzeugung.
"tja, komisch, was und wie wir so lieben."

"was macht eigentlich das objekt?" will die krankenschwester wissen.
"keine ahnung. es ist verschwunden", antworte ich.
"wieder mal."
"ja."
"das ist ja auch nervig mit dem. was reitet ihn da bloß?"
"keine ahnung. ich habs aufgegeben, das rausfinden zu wollen."
"und kommst du klar?"
"ach, im moment denke ich ganz wenig an ihn."
"hat er sich bei irgendwem sonst gemeldet?"
"nee. wenn der verschwindet, dann in der regel komplett. der dritte weiß auch nichts und bei dem meldet er sich eigentlich immer am zuverlässigsten."
"vielleicht ist was passiert?"
"glaub ich nicht. der ist so. ich hab die ersten ein, zwei jahre auch immer gedacht, scheiße, was, wenn der mit ner überdosis oder schwer krank in der wohnung liegt? aber er ist jedes mal wieder aufgetaucht. inzwischen mach ich mir keine sorgen mehr. und eigentlich finde ich so ne macke besser als wenn einer ständig aufmerksamkeit braucht."
"trotzdem, das könnte ich nicht aushalten", meint die krankenschwester.
"ist auch nicht einfach. aber man gewöhnt sich dran, irgendwie. und ich hab es aufgegeben, mich dagegen zu wehren, dass ich ihn liebe. das ist nun mal so. irgendwann wird das auch wieder aufhören."
die krankenschwester grinst: "was glaubst du, wie sehr ich hoffe, dass ich meinen freund mal irgendwann nicht mehr liebe und so einfach sage, ciao, du arschwichser."
"vielleicht solltest du dann doch t. abschleppen", empfehle ich.
aber die krankenschwester, die im gegensatz zu ihrer frechen schnauze und ihrem dirty look ein treues wesen ist, schüttelt nur den kopf.

weil es so leer ist, macht der club kurz nach fünf die schotten dicht und kehrt die letzten gäste, zu denen auch my. shyguy, die krankenschwester, t. und ich gehören, in den hof. dort starten wir eine schneeballschlacht, bis wir angemeckert werden wegen der lautstärke und rücksichtnahme auf die anwohner.
"schade, immer wenns lustig wird", mault mr. shyguy.
ich umarme und verabschiede die krankenschwester und mr. shyguy. t. muss in meine richtung und kommt noch ein stück mit.
"ich hoffe, es kommt ein taxi", sagt er und guckt angestrengt links und rechts.
"warum fährst du nicht auch mit dem bus?" frage ich.
"der kommt doch nicht durch."
"pah, der kommt besser durch als ein auto bei dem wetter."

während t. neben mir läuft und bibbert, weil er viel zu dünn angezogen ist, dreht sich die frage in meinem kopf, ob ich mal fragen sollte. t. nackt in den kissen stelle ich mir eine schöne erfahrung vor. er hat eine ähnliche statur wie das objekt, ist aber durch regelmäßiges training noch definierter, wenn auch nicht ganz so muskulös.

doch dann kommt mein bus um die ecke und ich sage schnell tschüß, bevor ich mich aus dem fenster lehnen und eine abfuhr riskieren kann.
t. umarmt mich genauso neutral, wie er zuvor die krankenschwester umarmt hat. schwierig, da zu- oder abneigung herauszuspüren.

trotzdem fühle ich mich durchwärmt und aufgehoben, als ich mit dem bus durch die morgendämmerung schaukle. ich steige eine station zu früh aus, gehe noch bei meinem biobäcker vorbei und hole mir zwei noch heiße brötchen, bevor ich aufbreche und den rest des weges auf mich nehme. ich brauche eine halbe stunde durch den schnee, aber ich genieße es. dann falle ich erschöpft ins bett und bin sofort im land der träume.

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