Samstag, 2. Februar 2013
immer auf die fresse
anruf von der lederjacke.
"gehst du heute weg?"
"hmhmhm. mal gucken, ich bin eigentlich krank."
"ach komm, nur ein stündchen."
"na gut. aber keine besäufnisse, ja?"
"klar. ich war sowieso gestern schon saufen. ich war in vier kneipen und wollte eigentlich nur ein bisschen in ruhe musik hören. aber die leute waren so aggro!"
"haste dich wieder geprügelt? muss ich dir wieder mit nem strafbefehl helfen?"
"nee, nee. aber weißt du, war so ein typ... ich sitz da ganz friedlich mit meinem bier, er rempelt mich an und meint dann zu mir, ey, wenn ich gleich von der toilette wieder komme, bist du aber weg."
"hä?! spinnt der?"
"die waren da alle total auf krawall gebürstet! langsam hab ich echt keinen bock mehr auf kiez."
"war dann noch was mit dem typ?"
"ich hab dann gesagt, ob er ein problem hat und ob wir das draußen klären sollen. da hat er den schwanz eingezogen."

ich stelle mir die lederjacke vor, wie sie tief einatmet und die brust und schultern breit macht, wie immer, wenn ihr jemand dumm kommt. obwohl sie eher die kategorie leichtgewichtboxer ist, kann sie ziemlich fest zuschlagen und ist zugleich sehr wendig und schnell.
"na gut, dann trage ich heute dafür sorge, dass dir nix passiert. also dass dir keiner krumm kommt und du niemanden die fresse einschlagen wirst."
"ich will mich einfach mit freundlichen menschen umgeben, dann passiert das ja auch nicht."
"ich bin ein super katalysator."
"prima. ich empfehle dich dann bei der un, als friedensbotschafterin."
"dazu ist mein englisch zu schlecht. aber sonst kannste mir gern nen job besorgen."
"ich guck mal. ich bin ja jetzt erstmal in trockenen tüchern. behörden sind schon sehr okay."
"ja, bitte, ich will auch gleitzeit und 13. monatsgehalt!"
die lederjacke lacht.
"holst du mich ab? und bringst du was zu trinken mit?"
"ich hab keinen hard stuff mehr hier."
"bier ist okay."
"ich schau mal, was ich machen kann.
"dann bis nachher!"

gegen mitternacht trudle ich bei der lederjacke in der neuen altonaer wg ein. ich habe zwei bier im gepäck und werde freudig begrüßt. dann inspiziere ich die wohnung.
"sag mal... was ist das denn für ein fußboden?"
"ja, eigentlich gar keiner. wir haben den einfach mit farbe lackiert."
"das sieht gewöhnungsbedürftig aus."
"ist es auch. um ehrlich zu sein, will ich hier wieder ausziehen. deshalb fragte ich ja wegen dem zusammenziehen."
"du wohnst gerade mal vier wochen hier, willst du der sache nicht noch eine chance geben? wenn man da ein bisschen was macht... boden, türen... dann wird das doch ganz gemütlich."
"nee, ich glaube, das ist bei mir was grundsätzliches... ich komme auch mit dem schnitt der wohnung und der enge nicht klar. außerdem hätte ich gerne eine badewanne."
"der herr hat aber ansprüche. jetzt brauchst du erstmal ein paar tausend euro für deinen studienkredit, mein freund, bevor du von badewannen träumen kannst. wenn du erstmal aufgestiegen bist in deiner behörde da, lass ich dir gerne auch ein jacuzzi in unseren zukünftigen palast einbauen!"

die lederjacke lacht, guckt aber dann zerknirscht.
"ich weiß auch gar nicht, ob ich den job so ewig machen will."
"mensch, jetzt freu dich doch mal! du hast ein ordentliches gehalt und super perspektiven da!"
"es ist aber anstrengend."
dann erzählt die lederjacke von den sozialfällen. von hartz-IV-empfängern mit schicken wohnungen, benz vor der tür und iphone 5 auf dem tisch. und von vielen misshandelten und missbrauchten kindern.
"bei denen geht es echt ums nackte überleben, teilweise. und du kannst so wenig machen mit der ganzen scheißbürokratie. und wenn ein kind stirbt, ist wieder die behörde schuld."
"dir geht das nah, hm?"
"klar! ich bin ja nicht aus stein."
"ich fürchte, das musst du dir abgewöhnen. ich darf auch nicht drüber nachdenken, was wir mit unseren pr-aktionen so auslösen."
"da stirbt aber keiner."
"sag das nicht. neulich sollte ich eine übergewichtige frau mit blutdruckproblemen für eine schönheitsop im fernsehen verwursten. die leute machen ja fast alles, wenn sie irgendwie kohle sparen können und die tante wäre auch echt ideal gewesen. ich hab sie aber dann sehr deutlich auf die risiken hingewiesen, so deutlich, bis sie einen rückzieher gemacht hat. andere hätten die in den op geschickt und, wenn sie abgenippelt wäre, noch ordentlich mit der kamera draufgehalten."
"siehst du, du hast auch ein gewissen!"
"na klar."
die lederjacke grinst schadenfroh:
"das musst du dir dringend abgewöhnen!"
"jawoll, herr behördenaufseher, das nächste mal drehen wir sexy cora reloaded!"

die haustür geht auf und herein kommt die mitbewohnerin, eine hübsche blonde frau.
"na, arbeit aus?" fragt die lederjacke.
die junge frau nickt erschöpft.
"war aber gut heute."
sie lächelt mir freundlich zu und verschwindet dann im schlafzimmer.
"was arbeitet sie denn so spät?"
"die ist schauspielerin. die macht theater."
"oh, cool. und davon kann sie leben?"
"die ist ganz gut."
"das heißt ja nix."

wir trinken das bier aus, und die lederjacke schlüpft in ein schickes schwarzes jacket und stoffhosen.
"du bist aber elegant."
"du vergisst, ich repräsentiere die gewalt der stempel!"
"ich erinnere dich daran, wenn wir später den weg zurücktorkeln."
die lederjacke grinst, ärmelt mich unter und schubst mich in den hausflur.

vorm club entdecke ich als erstes das objekt-fahrrad. gut, dass ich heute die hübsche lederjacke an meiner seite habe, denke ich.
drinnen stoße ich auch gleich mit dem objekt zusammen. es umarmt mich, benebelt mich mit seinem frisch-gebadet-kindershampoo-duft und sagt dann nur:
"komm erst mal an."
das klingt nach gesprächsbereitschaft, finde ich, beschließe dann jedoch, heute mal das objekt mit objektwaffen zu schlagen und meine priorität ausnahmslos auf die lederjacke zu richten.

ich war seit wochen nicht mehr im club und fühle mich fremd und depressionsunsicher. tanzen klappt nicht. ich klebe an der seite der lederjacke und lasse mich sanft alkoholisieren. gegen sechs uhr morgens sind wir hell- und mittelblau und beschließen aufzubrechen.
ich sehe mich nach dem objekt um, wenigstens tschüß sagen will ich ihm, aber es ist bereits nach hause gefahren.

die lederjacke zieht mich ganz selbstverständlich zu sich mit nach hause.
"ich bin aber erkältet", wage ich einzuwenden.
"na und?" lallt die lederjacke. "wennich krank werde, kann ich zuhause bleibn."
"na dann sollten wir knutschen", schlage ich vor.
da küsst mich die lederjacke sehr sanft.

als wir vor der haustür der lederjacke stehen, sind wir dort nicht alleine. ein langhaariger metalfreak versucht sich bereits schwankend und fluchend am haustürschloss.
"sollch dir ma helfn", bietet die lederjacke bereitwillig an und winkt mit dem schlüssel.
"oooooooch... daswä sssssso nett voneuch!" der typ sinkt gegen die wand und geht in die knie.
die lederjacke versucht sich derweil als türöffner, scheitert aber ebenso.
"scheißßßßßßße, dasis voll finsta hier!"
irgendwann, kurz bevor uns allen der kältetod droht, schnappe ich der lederjacke den schlüssel aus der hand, manöriere ihn sicher ins schloss und schließe auf.
"oooooccch... danke! dassssis toll!" beim klacken der tür ist auch der metalfreak wieder zum leben erwacht.

gemeinsam stolpern wir die treppen hinauf.
"ichab euch noch nie... geseenn", sagt der metalfreak und hält sich am treppengeländer fest. "wohhtihr auch hier?"
"ja", sagt die lederjacke und vergisst, dass ich aber nicht hier wohne.
"ich nicht", wende ich ein.
"ichwohnnnn... im vieatn stock", lallt der metaltyp.
"wirau", nickt die lederjacke.
"echtez? krass..."
dann stehen wir im dritten stock und ich kann das lederjacken-mitbewohnerinnen-klingelschild lesen.
"achneee... wirwohn jadoch im drittn", erinnert sich die lederjacke.
"jaaaaa... dannn...", der metalfreak will die hand zum gruß erheben, lässt sie dann aber doch lieber am geländer.
"dnnn... schlaf ma gut, ihr süßn."
"ciaociao", winkt die lederjacke nonchalant.

als wir in der lederjacken-wg stehen, hören wir den typ über uns poltern.
"achdu scheißßßße", nuschelt die lederjacke und grinst.
"mann, war der voll", stimme ich zu.
"warer gestern auch schon. und vorgestern. der sagt auimmer, ichab dich noch nnie... hier gesehn, wenn wir zusamm heimkommn", kichert die lederjacke.
"ist nicht wahr!"
"dohoch."
"krass. wie alt der wohl ist?"
"studnnt."
"was?"
"student! deris... student!"
"na, das hab ich mir gedacht. das kann er ja nicht bringen, würde er arbeiten."

dann liegen wir aneinandergekuschelt im bett der lederjacke. die lederjacke streichelt meinen rücken und schiebt dann eine warme hand unter mein t-shirt.
zwei minuten später sind allerdings schon die ersten alkoholisierten schnarcher zu vernehmen. das war ja klar. also rolle ich mich ein, küsse die schlummernde lederjacke sachte auf die stirn und schließe selbst die augen. ich atme den lieblichen lederjacken-duft und bin in nullkommanix im land der träume.

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