Samstag, 8. Dezember 2012
wichtigwichser vs. morphine
wenn man die komplette verantwortung für die mehrheit der kunden trägt, hat man zwar immer zu tun, aber es gibt einen vorteil, insbesondere, wenn die gf nicht die besten führungsqualitäten hat: man kann einfach machen. man kann vor allem auch mal fehler machen, ohne dass es auffliegt und man deshalb abgemahnt oder gefeuert wird. ich muss dazu sagen, ich habe sehr loyale untergebene. das findet man nicht alle tage, liegt aber auch sicherlich an meinem demokratischen teamleitungsstil. denunziationen gibt es bei uns daher nicht. nach oben sind wir wie pech und schwefel.

kürzlich beauftragte uns ein kunde, eine presseaussendung zu einem personalwechsel im vertrieb zu machen. dazu sollte ich mich direkt mit dem neuen typ in verbindung setzen.
gesagt, getan, ich rufe ihn an.

im ersten moment ist der typ nicht mal unnett. er hat eine angenehme stimme. allerdings kommt er sofort vom thema ab und beginnt, mir seine glorreiche autobiografie zu schildern. er war im vertrieb bei diversen kleinen und mittelständischen unternehmen tätig, die ich allesamt nicht kenne, obwohl ich mich auf branchentypischen messen rumtreibe. ich sage also in regelmäßigen abständen "aha" und "soso" und zwischendurch auch mal "das ist ja beeindruckend", während ich zwei e-mails tippe, den report der volontärin checke und eine liste schreibe, welche redaktionen und sender ich heute noch anrufen muss.

"was war das", fragt der azubi mit hochgezogenen augenbrauen, als ich den hörer aus der hand lege.
"ach, nur so ein wichtigwichser, arbeitet jetzt bei *** und meint, ohne ihn würde sich die welt aufhören zu drehen."
"was ist der denn?"
"vertriebsheini."
"was macht der dann da konkret?"
"naja, was vertriebler so machen: kunden bequatschen, schick essen gehen und nachher mit firmenkreditkarte in den puff und jammern, wie stressig und unterbezahlt das alles ist."
"wie viel verdient man denn da so?"
"kann ich nur schätzen. *** ist ja ein ziemlich großes, international agierendes unternehmen, also sechs bis acht mille, denk ich mal."
"boah! was muss man studieren, um das zu werden?"
"bwl oder so."
"wär das was für mich?"
ich betrachte den azubi liebevoll:
"wär schade um dich."
der azubi ist geschmeichelt:
"weil ich was anderes viel besser kann?"
ich grinse fies:
"nee, weil wir uns dann einen neuen suchen müssten, der für einen ungesetzlichen minilohn deinen job macht."

ich verfasse die meldung und schicke sie zur freigabe an den wichtigwichser.
die erste rückmeldung ist nicht ungewöhnlich, ein paar kleine anmerkungen, weil sich mr. wichtig stellenweise nicht genug beweihräuchert fühlt - und ein ergänzungswunsch, weil der wichtigwichser auch papa ist und unbedingt in der meldung stehen haben möchte, dass er eine zehnjährige tochter hat. potenznachweis.
ich mache die änderungen, schreibe dem kunden zurück und merke an, dass sich für seinen familienscheiß kein aas interessiert, weil er nicht für den bundestag kandidiert. natürlich politisch korrekt formuliert.

zwei stunden später erhalte ich einen empörten anruf. der wichtigwichser referiert ein zweites mal seine glorreiche laufbahn und weist mich darauf hin, dass er sehr viel erfahrung in pressearbeit habe und sehr viele unglaublich wichtige meinungsmacher persönlich kenne, weshalb er auf meine hinweise nicht angewiesen sei.

der azubi schaut wieder fragend, ich halte den finger auf den mund und stelle auf lautsprecher um. azubi, volontärin und die beiden praktikanten hören mit und kichern stumm.
ich hole mir das gespräch zurück, dann sage ich sehr freundlich, dass ich es total super finde, dass er so viele so wahnsinnig nützliche pressekontakte habe, er soll die gleich mal rüberschicken, denn selbstverständlich erhalten die dann die meldung exklusiv vorab.

der wichtigwichser ist für einen moment still, meint dann aber, er mache das. ich warte gespannt. es erreicht mich eine e-mail mit einer kontaktliste. an den e-mail-adressen sehe ich sofort, dass der wichtigwichser keinen einzigen persönlichen kontakt da hat. aber gut, es handelt sich um ein paar fachblätter, branchenspezifisch vielleicht nicht unbedeutend, warum sollte ich die nicht berücksichtigen. natürlich würde ich nichts vorab und exklusiv starten.

als ich die aussendung schon zur bearbeitung freigeben will, erhalte ich noch eine weitere e-mail von mr. wichtig. ob ich es denn gut fände, dass wir das datum so schreiben, man sollte das in einer RICHTIGEN pressemeldung doch so und so machen.

langsam beginne ich zu sieden. der typ fängt an, fehler zu suchen, die gar keine sind. typisch für menschen mit schweren minderwertigkeitskomplexen. ich denke an seine tochter, sie tut mir leid. bestimmt ist der wichtigwichser so ein sonntagnachmittagsvaddi, der seiner frau ständig in die erziehung reinquatscht und die kleine zu lauter scheiß zwingt, auf den sie gar keinen bock hat. sowas wie geige spielen oder im elite-turnverein rumeiern.

nachdem ich das datum geändert habe, fällt dem wichtigwichser dann noch ein, dass wir eine andere schrift nehmen sollten, nämlich seine hausschrift statt unserer, und als ich das geändert habe, möchte er eine andere schriftgröße und ein anderes foto. als ich das foto in unser formular eingefügt habe, beschwert er sich, dass ich das bild (ganzkörperfoto) zugeschnitten habe, weil es sonst nicht in den vorgesehenen rahmen passt. zuletzt echauffiert er sich noch einen doppelpunkt, statt dem er einen punkt wünscht.

ich schimpfe inzwischen zum amüsement meiner kollegen laut in bösester fäkalsprache vor mich hin, weil mich die aussendung den halben tag gekostet hat und sich die arbeit auf meinem tisch schon stapelt.

aber rache ist blutwurst. ich beauftrage die volontärin, sich einmal durch unseren presseverteiler und die kontaktliste von mr. wichtig zu arbeiten und sich die medien genau anzusehen. sie soll mir die auflagenzahlen recherchieren und sagen, welche medien personalmeldungen drucken und welche nicht, welche das groß mit bild machen und welche ohne.

dann sortiere ich die medien aus, die quasi jede meldung mit bild drucken, die wichtigen sowieso und lasse nur unbedeutende, auflagenschwache magazine sowie solche, die meldungen grundsätzlich ohne bild als notiz am rande drucken, im verteiler. das ist noch immer eine ganze menge, sodass ich keine angst haben muss, nicht ausreichend im sinne des kunden gehandelt zu haben.

eine woche später ernte ich die früchte der racheaktion: die meldung wurde mehrfach gedruckt, allerdings ohne bild und so unauffällig und in so unbedeutenden medien, dass sich mr. wichtig keinen drauf runterholen kann. der geschäftsführer des kundenunternehmens ist dennoch hochzufrieden, als ich ihm vermelde, dass wir fast 20 nennungen erzielt haben.

tja. kleine archlöcher bestrafe ich sofort. die großen müssen eine woche warten.

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