Sonntag, 7. Oktober 2012
betrunkene und andere wahrheiten
zeichen und wunder, klappe II

ich habe beschlossen, dass es ein teurer abend wird. zunächst das covenant-konzert. ein bisschen kultur muss ja sein. wenn die halbe welt verreist und auf festivals weilt, muss man wenigstens den heimvorteil nutzen und mitnehmen, was geht.

ich komme erwartungsfrei zum konzert und bin in neutraler laune. covenant spielen vorwiegend neu aufgemotzte ältere sachen. der sound ist anfangs schlecht eingestellt, zu viele höhen, ich kriege zunächst kein feeling, aber irgendwann springt der funke über. eskil wirkt hyperaktiv wie immer, kommt dann aber runter und beginnt nach vielen vielen "can you feel it" den faden zur konzertmission zu spinnen. wovon träumst du? wer bist du? wohin gehst du? wo möchtest du jetzt gerade sein?
meine eine ist froh, hier am platz zu sein, auch wenn die überbordernde sehnsucht durch solche fragen neuen treibstoff bekommt. neben mir steht ein schöner mann, der mich anguckt, ich gucke zurück. dann entdecke ich den ehering. neuerdings schreckt mich das. ich will raus aus den alten mustern, auch wenn die verheirateten-nummer immer noch hervorragend easy klappt.

später treffe ich ein paar bekannte im foyer. eigentlich bin ich müde und krank, lasse mich dann aber noch breitschlagen, auf die aftershow-party zu gehen. eskil wolle auch noch kommen, wissen die insider, das lockt mich zusätzlich. vielleicht würde ich mich ein wenig unterhalten können und herausfinden, ob covenant ein neues album planen. dann könnte ich darüber schreiben. networking ist ja das a und o in meinem job. also gehen wir zusammen zur s-bahn und fahren nach altona. zwischendurch ruft mr. shyguy an.
"wir fahren noch in den club", informiere ich ihn.
"och nööö... wir sind auf dem kiez. im club ist doch heute sonst keiner."
"was meinst du damit?"
"naja, k. wollte mit kollegen losziehen, t. hat nachtschicht und das objekt ist pleite und muss auch arbeiten, soweit ich weiß."
"das ist doch ganz hervorragend", finde ich. "das heißt, ich kann entspannt feiern."
mr. shyguys missbilligung ist unüberhörbar, aber meine eine ist happy. kein objekt, das bedeutet kein geglotze und keine seelischen zwiespalte.

doch als wir den eingang passieren, steht da wider erwarten das objekt-fahrrad. drinnen, drei meter hinter dem eingang, kommt mir gleich der dritte entgegengestürmt und umärmelt mich wild.
"na, schöne frau, wieder mal alleine da?"
ich nicke.
"macht nichts, ich auch!"
der dritte nimmt mich mit nach hinten, um eine zu rauchen. wir kuscheln ein wenig. das objekt steht schräg gegenüber an der bar und unterhält sich, aber ich merke, dass es uns beobachtet.
"du wirst mir verdammt fehlen", sage ich zum dritten, der zusammen mit der drittefreundin wegziehen wird.
"vorher will ich aber noch, dass du wieder mit dem objekt redest."
"ich will keine freundschaft mehr, das übersteigt meine kräfte."
"aber reden könnt ihr doch trotzdem miteinander. das objekt braucht dich. du bist die einzige, die den mumm hat, ihm konter zu geben, und der er das vor allem auch verzeiht."
"hör auf mir zu schmeicheln."
der dritte nimmt mich in den arm. ich fühle seine wärme und rieche seinen duft. er war mein jüngster lover, verdammt, und bald ist er weg.

wir trinken zusammen ein paar kurze, dann wanken wir auf die tanzfläche. kurz darauf findet sich auch das objekt ein. wir ignorieren einander angestrengt und eisern. der dritte muss darüber schmunzeln und stupst abwechselnd mich und das objekt an. doch wir bleiben beherrscht und wagen keinen blick.
"ihr seid voll der kindergarten", lacht uns der dritte aus. "in sachen sturheit nehmt ihr euch absolut nichts."

dann werde ich abgelenkt, als mich eine junge frau anlächelt und kurz darauf auch anspricht. wir gehen zusammen rauchen und trinken einen caipi. inzwischen bin ich reichlich angeschickert.
"sag mal... rauchst du eigentlich nur zigaretten?"
ich muss einen augenblick nachdenken, was sie meint.
"nein, ich rauche auch ständig crack und heroin."
die frau lacht.
"naja, weißt du, wir könnten doch mal kurz rausgehen. ich hab was dabei."

draußen nieselt es.
"pfui", sage ich. meine neue bekanntschaft nimmt mich daraufhin in den arm und rückt ganz nah an mich heran. sie riecht gut, also lasse ich sie gewähren.
sie dreht einen joint und reicht ihn mir dann.
"bitteschön. du darfst anrauchen."
"ich hab aber keine ahnung, wie sich das mit meinen psychopharmaka verträgt."
"was nimmst du denn?"
ich nenne ihr meine medikamente.
"witzig, das eine nehme ich auch."
"wie, hast du auch depressionen?"
dann erzählt sie mir ihre geschichte. mit 18 schwanger geworden, inzwischen drei kinder, zwischendurch die ausbildung zu ende gemacht, wegen der kinder aber keinen job bekommen, immer abgebrannt, weil zwei von drei kindsvätern nicht zahlen und der dritte versucht, ihr das sorgerecht wegzunehmen.
"da kann man schon mal durchdrehen", finde ich.
"ja, aber dann schau ich mir meine kinder an, und dann sag ich mir, kinder sind das licht der welt... ich bin so stolz auf die drei und auch auf mich, dass ich es trotzdem immer irgendwie schaffe."
"solange du dir kein viertes kind von irgendeinen idioten andrehen lässt."
"nein, im moment will ich keinen mann mehr."
aha. nachtigall, ick hör dir trapsen.

wir sitzen eine dreiviertelstunde im nieselregen, dann stelle ich fest, dass ich total ausgefroren bin. ich will wieder rein. der joint hat einen angenehmen nebel um mich gepackt. als ich aufstehe, kann ich mich kaum auf den beinen halten.
"war das zu viel", fragt die frau besorgt.
"geht schon", antworte ich.

drinnen wird die frau schon von ihren freunden gesucht, die langsam aufbrechen wollen. die frau verabschiedet sich, nicht ohne mir ihre telefonnummer aufs auge zu drücken und mir das versprechen abzunehmen, dass wir uns wiedersehen.
"ansonsten könnte ich natürlich noch bleiben, aber dann komme ich nicht mehr nachhause", sagt sie.
das geht mir jetzt doch ein bisschen schnell. eine fremde durchgeknallte mutti mit vermutlich sexuellen absichten in meiner wohnung zu beherbergen übersteigt meinen aktuellen spontanitätsgrad. ich gehe nicht weiter drauf ein, und die frau deutet mein schweigen richtig.

als die frau weg ist, merke ich, wie unheimlich breit ich bin. ich kann nicht mehr richtig tanzen, alles dreht sich.
als ich um die ecke schwanke, wird mir schummrig und ich klammere mich am nächsten mir entgegenkommenden menschen fest. der riecht gut und vertraut. da funkt die erkenntnis in mein schwindendes bewusstsein: ich halte das objekt im arm.
das objekt lächelt mich nicht weniger betrunken an und sagt dann verschmitzt "hallo".
"oh, scheiße, also ich mein, du bist ja auch besoffen", sage ich sehr clever und will das objekt loslassen. doch es zieht mich fest an sich und drückt mich, bis mir die luft wegbleibt.
"morphine", sagt es in mein haar und für einen moment fühle ich mich geborgen wie in abrahams schoß.
dann beginnt sich das objekt aus der umarmung zu winden und stottert:
"ich kann das nicht... ich darf das nicht... ich meine, ich weiß, dass ich das nicht verdient habe. ich hab dich einfach nicht verdient."
in seinem blick spiegeln sich panik, schuld und abwehr, und ich frage mich, warum ich die einzige von uns beiden bin, die einen amtlich bestätigten dachschaden hat. ich halte das objekt fest und zwinge es, mir in die augen zu sehen.
"es ist alles gut... hörst du?!"
das objekt nickt, aber die angst in seinen augen bleibt.
"ich muss gehen", sagt es und flüchtet richtung tanzfläche.

ungefähr eine stunde später, als die lichter angehen, treffen wir zum zweiten mal aufeinander. ich komme gerade nach draußen in den hof, als das objekt sein fahrrad aufschließt.
"morphine", ruft es mir zu und kommt dann ganz nah. es ist noch betrunkener als vorhin, und auch mein alkoholpegel hat sich noch nicht wirklich gelichtet.
"na, wen hassu heute abgeschleppt?" fragt mich das objekt wie einen alten kumpel.
"gaakain. die frau wollte mit, aber ich wollt die nich in meiner wohnnng."
"die habch gesehn. die war abba sssehr... anhänglich."
"diess nett! aber die willwasss... von mir."
das objekt findet das süß und kichert wie schulmädchen und gibt anschließend seine story des abends zum besten:
"hassu die gaaanz dicke frau da vorhin gesehnnn? die fragte mich, obch heute ssu dritt nach hause will."
ich lache laut. "wer waaann der dritte? warse schwanger? oda zwilling?"
"nee, dasss waaa... ihre freundin. die waa ganz hübsch, aba die wollt dann nich. aba ich wollt ja aunich. aba die dicke wollt ebn, alleine. und ich dacht so, scheiße, wie werd ichn die wieda los?"
"unndann!"
"dannnn... habch gesagt, ich bin voll, ichglaubch krieg heut kein mehr hoch. aba das hat sie üüüübahaup nich abgeschreckt!"
"unndann!"
"sie so, ich mach dassss... ich krieg den bei allen typn hoch, du kannsss allss von mir habn wassu willz..."
"neeeiiinn, echdez?!"
"dannn habchh gedach, so, dann bisse mal n arschloch."
"jaja, dasss kannsuu ja besonders gut."
"ja, passauf... allso sachich, okay, dann willch n ordentlichn tittenfick. aba dazu mussu echt titten habm, die voll in ordnung sinn, also vonner konsistenzzz."
ich kann mich inzwischen vor lachen nicht mehr auf den beinen halten und lehne an einer hauswand.
"unndann!"
"unnndann habch noch gesagt, aba ich will dabei fernsehn könn... also mussu den tittenfick so machn, dass das nich stört, mitm kopf zwischen den bein und so... das daaaf dann nichim bild sein und so...", kichert das objekt haltlos.
"unndann!"
"das hati alles üüüübahaup nich abgeschreckt. sie hat mia dann ihre telfffonnumma gegebn."
"isnichwaa!"
"unndann isse mir den gaaaaanzen ammmd hinterher... unnu beim gehn hattse mich gefragt, hassu meine numma noch? und alzich dann meinte, nee, habich weggeschmissen, daaaaaaaaann warse aba gepisst."

wir lehnen inzwischen beide an der hauswand und lachen, bis uns die tränen kommen, obwohl die story nüchtern betrachtet nicht mal so sehr komisch, sondern einfach nur arschlochmäßig ist.
"morphine", sagt das objekt wieder und nimmt mich in den arm.
"wo schläfstu heute?"
"suuhause. bei meiner katze."
"ach."
"ich muss... nachhause, die katze hat hunger."
"jaja... sachma, gehtn das? du torkelss mir zu sehr."
"muss."
"wievilll geld hassn noch?"
"weißnich... drei, vier euro?"
"weißu was, ich geb dir geld unnn du fährss bessa mitm taxi."
"das geht nich. daassu teuer."
"wie vielll issn das?"
"fünnunffzwannzich euro odda so."
das objekt kramt in seinem portemonnaie.
"nein, du, ich will dasnich. du hass doch aunix, unndu hass n kind."
aber das objekt steht schon auf der straße und wirft sich vor ein ankommendes taxi, das daraufhin eine vollbremsung machen muss.
"brinngsie die junge dame sicher nachhause", befiehlt das objekt dem taxifahrer. "bisss... voa die hausstür, ja?!"
es steckt dem taxifahrer 30 euro in die weste und schubst mich in den wagen.
"keine widerrede, madame."

das objekt schwingt sich auf das fahrrad und schwankt damit über die fahrbahn. der taxifahrer schüttelt den kopf. ich denke mir meinen teil. und bin doch ganz happy. welcome back, absolute madness. morgen muss ich das unbedingt dem dritten erzählen...

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