Samstag, 8. September 2012
pogo
"ich weiß nicht, was ich später will. reich werden."
der typ, der sich ungefragt neben mich gepflanzt hat, ist auf dieser üblen punk-party ziemlich verloren. er lebt erst seit drei monaten in der stadt, um sein abi nachzuholen.

"wie alt bist du denn?" frage ich.
"21."
21 und als lebensziel reich werden, das finde ich ziemlich autsch. dieses lebensziel haben andere etliche jahre früher, in seinem alter aber bereits wieder verworfen und durch einen echten sinn ersetzt.
"wie willst du denn reich werden?"
"weiß nicht. ich wollte mal pilot werden. oder fremdenlegionär. oder börsenmanager."
als ich lächle, sind ihm seine zukunftspläne offenbar peinlich.
"du denkst, das ist dumm, oder?"
"nö. dir fehlt aber vielleicht... ein bisschen lebenserfahrung."
"ja, toll, du hast halt ein paar bücher mehr gelesen als ich, sonst ist da doch kein unterschied."
"naja, ich würde mal sagen, in zehn jahren passiert mehr als ein bisschen zuwachs in deiner bibliothek."
"du meinst also, du bist nicht die richtige für mich?"
der gedankensprung ist gewagt, noch gewagter als die theorie, dass man innerhalb einer viertelstunde wissen kann, ob jemand eine traumfrau ist oder nicht. da aber ungeachtet der denkrichtung die schlussfolgerung stimmt, nicke ich eifrig.

"wie alt bist du denn?"
"na wenn ich zehn jahre älter bin als du...?"
"31!" der typ ist entsetzt.
"ja, sorry, bin halt schon ne omma."
"nee, gar nicht. du siehst total jung aus."
entweder hat der gute tomaten auf den augen, oder das schwarzlicht und der drei-tage-urlaub zeigen bereits wirkung. ich bin geschmeichelt.
"du hast auch ein total cooles outfit."
"ich bin halt nicht so ein h-und-m-opfer."
"wo kaufst du deine klamotten?"
"auf flohmärkten, oder im internet... in erotik-shops... oder einiges mache ich auch selbst."
der junge ist schwer beeindruckt:
"das heißt, du kannst nähen?"
"naja! ein bisschen. für kleinkram reicht es."
"kannst du mir dann auch mal was nähen? ich hätte auch gern so was im punk-style."
"tja, ich wohne aber nicht hier. sondern in hamburg."

der typ starrt mich an.
"dann bist du echt nicht die richtige."
ich muss lachen.
"hatten wir ja bereits festgestellt."
"aber es ist trotzdem cool, sich mit dir zu unterhalten. du bist anders als die mädchen, die ich so kenne."
"wo lernst du die denn kennen?"
er nennt mir zwei, drei locations, in denen, wie ich weiß, nur spackos und tussen abhängen.
"dann liegt das vielleicht daran, dass deren iq die 60 nicht besonders weit überschreitet."
"wie viel ist 60?"
"60 ist die grenze zum schwachsinn. damit kommt man maximal auf die sonderschule."
der typ ist amüsiert und kichert.

als der dj das nächste üble lied spielt, merke ich, dass ich müde bin. meine freunde stehen am tresen und sind betrunken. ich habe mir medikamentenbedingt irgendwann ein trinkstopp erteilt und erlebe die tristesse in ihrer ungefilterten version.
"ich gehe", sage ich zu dem typen.
"wohin", macht er große augen.
"ins bett."
der typ starrt mich an.
"och nö!"
"oh doch. ich bin zu alt für schlechte parties."
"och nööö... lass uns doch noch wo was trinken."
er nennt den namen einer bar, in der, wie ich weiß, auch lauter tussen und spackos rumhängen.
"was willst du da, den durchschnitts-iq heben?" erwidere ich lachend.

doch der typ gibt nicht auf. irgendwann, als er mir dann verspricht, dass er taxi und besäufnis finanzieren und mich später sicher zum bus bringen wird, lasse ich mich breitschlagen. wer so unbedingt will, hat einfach eine chance verdient, finde ich.

ich rufe ein taxi und wir fahren in die schreckliche bar mit den tussen und den spackos. doch vor der tür drängen sich bereits hunderte von gretels in goldglitzernden highheels, den immer gleichen hotpants und so viel make-up, dass daniela katzenberger daneben wie ein model für den öko-look wirkt. sie sind umringt von unzähligen vollidioten in hawaihemden und bermudas, denen nicht nur alkoholbedingt grammatik und satzbau vollständig abgehen. der türsteher winkt uns bereits von weiten mit einer abwehrenden geste entgegen. kurzum, ich habe glück und die bar ist so überfüllt, dass ich nicht mal als daniela-katzenberger-verschnitt reingekommen wäre.

"was nun?"
der typ ist enttäuscht.
"gehen wir einfach weiter in die innenstadt und nehmen die nächste kneipe."
leider habe ich vergessen, dass nürnberg nicht nur keinen kiez hat, sondern dass die wenigen, verstreut gelegenen kneipen auch am wochenende alle gegen eins oder zwei oder allerspätestens drei zumachen.
nach einer längeren odyssee landen wir schließlich an der tankstelle, kaufen uns whiskey cola und bier und setzen uns auf den grünstreifen.
"ich würde jetzt gern was verrücktes machen", sagt der typ.
"was denn?"
"keine ahnung... in eine kirche einbrechen oder so. oder ein auto klauen."
"spitze", finde ich.
"du hälst mich für doof", beschwert sich der typ.
"wenn du sowas von dir gibst, schon", muss ich kichern.
aber humor hat er, denn er lacht mit mir, und das finde ich sympathisch.
also lege ich ihm die hand auf die schulter und sage sehr ernst:
"ich glaube, du bist ein prima mensch. daran musst du immer festhalten, egal was dir irgendwelche penner einreden. das sage ich dir jetzt so als... große schwester, okay?"
der typ guckt ein bisschen verwirrt, bedankt sich dann verlegen und nimmt schnell einen schluck aus seiner dose.

gegen fünf uhr morgens, als wir schon die letzten auf der straße sind, bringt er mich zur bahn.
"sehen wir uns mal wieder?" fragt er.
wir tauschen mailadressen und ich verspreche ihm, dass er mich mal in hamburg besuchen kommen darf.
"da kann man dann auch bis sieben uhr morgens und noch länger feiern", sage ich.
"cool", findet der typ. "dann bis ganz bald!"
bis nicht ganz so bald, hoffe ich, und mache mich auf meinen heimweg.

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