Sonntag, 18. März 2012
wunder-bar
"zwischen uns ist alles gesagt. ich denke nicht, dass worte uns betreffend noch irgendeine bedeutung haben", hatte ich dem objekt neulich am telefon gesagt. das objekt, ohnehin wortkarg, war daraufhin betreten verstummt.

gestern nacht war das objekt wider erwarten im club. das beseitigte zum einen die sorge um eventuelle suizidale absichten, zum anderen war es die gelegenheit, die tragfähigkeit des status quo zu testen. dabei sollte mir ein echtes kleines wunder widerfahren.

alles begann damit, dass die k.-ex, die zusammen mit dem objekt gekommen war, mich bei der hand nahm.
"morphine, du setzt dich besser", sagte sie und eskortierte mich zur couch. dann wuselte sie durch die menschenmassen und kam wieder mit dem objekt im schlepptau. sie gab ihm einen kleinen schubs, dann stand es vor mir und sah mich unsicher an.

und nun erlebte ich die überraschung des abends.
das objekt kniete sich vor mich hin, nahm meine hand und sagte:
"du hast neulich gesagt, dass du mir nichts mehr glauben kannst... dass alle worte zwischen uns die bedeutung verloren haben..."
es holte tief luft, um nicht zu stottern, weil es aufgeregt war.
"ich habe die ganze woche überlegt, wie ich das, was ich gemacht habe, wieder gutmachen kann. aber ich weiß, dass das nicht geht. und erzählen kann ich dir nichts mehr..."
dann zog es einen kleinen gelben zettel aus der tasche.
"also habe ich mir überlegt, wie ich dir das sagen kann, was ich sagen will, allerdings ohne worte."
es reichte mir den gelben zettel. es war eine garderobenmarke.
"geh zur garderobe, da ist etwas für dich hinterlegt.

ziemlich sprachlos und mit zittrigen knien begab ich mich zum garderobenmann, der mich vielsagend angrinste und dann eine papiertüte zum vorschein brachte.

in der tüte steckten blumen. sie waren zu einer art engelsflügel gebunden. darunter befand sich eine kleine handbemalte kiste. ich erkannte das schwarz-rote objektdesign. an den ecken der kiste waren papierne engelsflügel angebracht.
als ich die kiste öffnete, waren darin teelichter, streichhölzer, sicherheitsnadeln, ein leeres schneckenhaus, ein zu einer schnecke gefalteter joint und schokolade. im schneckenhaus steckte ein kleiner brief, in dem nichts weiter stand außer "ohne worte, aber mit liebe".

es war defintiv eines der intimsten geschenke, die ich je erhalten hatte. jeder einzelne gegenstand spielte auf etwas an, was einst thema eines gesprächs oder inhalt einer sms, die ich dem objekt geschickt hatte, gewesen war.

entgegen aller guten vorsätze war ich dermaßen gerührt, dass ich hätte heulen können.
"heiratsantrag?" fragte der garderobenmann, der sich zu mir, die ich am boden kniete und die liebevollen details des geschenks betrachtete, herabgebeugt hatte.
"nee", sagte ich, "viel besser."
dann packte ich alles wieder in die tüte und wankte nach drinnen.

das objekt saß auf meinem platz und spielte nervös an den fingern. als ich den raum betrat, sah es auf und lächelte mich unsicher an.
ich überlegte angestrengt, bevor ich mir dann spontan die überlegung verbot und stattdessen auf das objekt zuging, sein gesicht mit beiden händen umfasste und es auf den mund küsste.
"es gefällt dir! es gefällt dir!" jubelte das objekt befreit, sprang auf und umschlang mich.
"du hast etwas verstanden, scheint mir", sagte ich, als es mich wieder losließ.
"ich hoffe... und ich hoffe, dass ich es durchhalte", stammelte das objekt.
"tja, action speaks louder than words", erwiderte ich.
das objekt strahlte mich an und küsste mich zurück:
"ach morphine... ich bin so froh..."

den rest des abends verbrachte ich in nachdenklicher glücksseligkeit. ich betrachtete jeden meiner freunde mit liebe und schätzte mich sehr, sehr reich.

als es zeit wurde zu gehen, holte ich meinen mantel und suchte das objekt.
"tschüß", sagte ich, "und vielen vielen dank noch mal für das liebe geschenk. ich habe die botschaft verstanden und es bedeutet mir was."
das objekt bekam genauso feuchte augen wie ich zuvor, dann umarmte es mich lange und innig.
"schlaf schön", sagte es.
"werd ich", erwiderte ich.
"du hast es ja nicht weit?"
"nein."
das objekt grinste verständnisvoll und gab mir noch einen verrutschten nassen kuss an den hals. dann drehte ich mich um und ging zur tür.

draußen war es längst hell, die vögel zwitscherten lauthals. als ich dem sonnenaufgang entgegenlief, befiel mich eine merkwürdige sehnsucht. ich holte mein handy aus der tasche. die uhr zeigte elf minuten nach sechs. und während die objektbegegnung noch in mir nachhallte, wählte ich instinktiv die inzwischen recht vertraute nummer.

"hallo?" nach zweimaligem klingeln war der mensch schon am hörer. er klang sehr verschlafen.
"hey... ich hab dich geweckt, stimmts", sagte ich.
"ich hab mir schon gedacht, dass du vielleicht anrufst und habe hier mit dem handy neben dem kopfkissen geschlafen, damit ich dich nicht verpasse."
mir wurde warm ums herz.
"das heißt, ich soll vorbeikommen?"
der mensch lachte.
"du sollst gar nichts. aber wenn du es als wunsch formulierst, sag ich vielleicht ja."
"gut, ich will dich sehen, was dagegen?!"
"das war ja mal eine entwaffnende ansage", fand der mensch.
"dann bin ich in 20 minuten bei dir."
"pass auf dich auf."
"mach ich."

und während ich weiter durch den herrlichen morgen lief, bemerkte ich, dass ich immerfort lächelte.

... link