Montag, 5. März 2012
warme hände
vorgestern die kunstausstellung eines bekannten besucht und dort brandredenartig über soziale ungerechtigkeiten in der medienbranche diskutiert. mit gehaltsoffenbarungen entsetzen gestiftet, allen jungen leute von einem studium der kommunikationswissenschaften abgeraten und so wenigstens einmal meine bildungsmission erfüllt. später dann noch in den club gehoppelt. dort war dann plötzlich nichts mehr okay.

mit k. abgehangen. k. spürte, dass es mir nicht gut ging und kaufte mir einen wodka redbull. das objekt kam vorbei, guckte sehr stoned und erzählte munter wirres zeug über masturbation und finger-in-den-po-stecken. ich nippte an meinem drink und gab mich einsilbig. k. guckte abwechselnd das objekt und mich an und zog kommentarlos die augenbrauen hoch. dann kam ein typ vorbei, der das objekt heftig anflirtete und arm in arm mit ihm verschwand.

k. sah den beiden nach und sagte trocken: "was für ein merkwürdiger abend... und was für total durchgeknallte typen."
ich musste lächeln und spürte gleichzeitig tränen aus der brust nach oben steigen. k. legte den arm um mich und hielt mich fest.
"soll ich dir asyl geben?" fragte er mich.
ich zögerte. k. verstand:
"also nur kuscheln und schlafen, meinte ich."
ich nickte. k.s anwesenheit würde mir guttun. ein mensch, der keine dummen fragen stellte und keine dämlichen sprüche klopfte. safer sleeping, safer dreaming, so in der art.

dann kam die k.-ex in den raum. ich spürte ihren blick. sie fing den meinen auf, kam herüber und gab k. und mir je einen kuss. k. stand daraufhin auf und verließ den raum.
die k.-ex sah ihm traurig nach.
"er kommt einfach nicht klar damit", sagte die k.-ex.
"womit?"
"na, mit dir und mir und dieser situation."
"es gibt doch gar keine situation."
die k.-ex seufzte.
"ehrlich, morphine... es gäbe niemanden, mit dem ich k. lieber zusammmen sehe als mit dir. trotzdem tut es manchmal einfach verdammt weh und ich frage mich, ob die trennung damals der richtige schritt war."
in diesem moment bestätigte sich das, was ich schon lange ahnte. und kam mir entsetzlich fehl am platze vor.

ich stand auf und suchte k.
"ich werde heute doch nicht bei dir schlafen", sagte ich geradeheraus.
k. guckte erstaunt und verletzt.
"warum denn?"
"ich hab es mir eben anders überlegt."
"das ist doch blödsinn. willst du jetzt wirklich den weiten weg nach hause... und dann da allein...?"
"ist besser so, glaub mir einfach."
da waren die tränen wieder ganz heiß hinter den augen. ich ging auf toilette. dort kauerte ich mich in die hocke und lehnte den kopf an die kabinentür. alles ist gut, versuchte ich mir einzureden, fahr einfach jetzt nach hause, kuschel dich in dein warmes bett und schlaf dich aus.

ich holte mein handy aus der tasche. die uhr zeigte 5:22. da plötzlich klingelte es.
"hallo?" sagte ich mit frosch im hals.
an anderen ende der leitung war mein herbergsvati vom letzten wochenende.
"hey... sag mal, wie klingst du denn, bist du schon wieder krank?!"
"nein", sagte ich und meine stimme wackelte, weil seine frage so ehrlich besorgt und davon abgesehen so warm und sanft und tröstlich klang.
"ich wollte eigentlich nur wissen, ob du auf deiner party da bist und ob du vielleicht lust hast, noch vorbeizukommen?"
mein herz begann zu flattern. das war doch wohl die beste überraschung dieses wochenendes.
"ja", sagte ich. "gerne."
"wann darf ich mit dir rechnen?"
"gib mir zehn minuten."

ich holte meinen mantel vom garderobenmann und ging einfach ohne jemanden tschüß zu sagen. dann radelte ich durch die nacht.

der mensch stand schon unter der tür und wartete auf mich.
"das hat aber länger als zehn minuten gedauert", tadelte er mich scherzend.
ich zog eine tüte brötchen aus meiner tasche.
"ich war noch eben beim bäcker an der holstenstraße."
"du bist toll", fand der mensch und drückte mich. "das ist doch jetzt genau das richtige. ich mach uns kaffee, ja?"

ich setze mich, während der mensch in der küche hantierte. seine bewegungen hatten etwas schlafwandlerisches und ich erinnerte mich, dass der mensch fast blind war. trotzdem lebte er erstaunlich normal.

"was ist eigentlich los?" fragte er unvermittelt, während er mit routinierten bewegung heißes wasser in eine kanne goss.
"was soll sein", erwiderte ich.
"du bist traurig."
"wie hast du das gemerkt?"
"du hast etwas dunkles an dir."
ich musste kurz nachdenken, bis ich verstand, dass der mensch nicht unbedingt von einem sichtbaren dunkel sprach. und schon waren da wieder die ungebetenen tränen hinter den augen. nein, du heulst jetzt nicht rum, befahl ich mir. der kennt dich nicht, was soll der denn von dir halten.

bis eine hand mein gesicht berührte, eine warme, weiche hand, die meine wange sachte berührte und die finger in meinem nacken wandern ließ. es war wie nachhause kommen. und ich schloss die augen und spürte, wie sich die tränen ihren weg bahnten, kleine salzige lawinen der traurigkeit, unaufhaltsam auf der suche nach innerem frieden und trost, auf der suche nach etwas, woran ich den glauben verloren hatte.
der mensch sagte nichts, blieb einfach nur stehen und hielt meinen kopf. dennoch begann seine anwesenheit meine leere zu füllen, fest und stark und schön.

eine gefühlte ewigkeit lang saßen wir so da, während der kaffee kalt wurde und draußen die sonne aufging.
"was denkst du jetzt bloß von mir", sagte ich.
"nicht schlechtes. überhaupt nicht." der mensch schmunzelte, amüsiert über meine sorge.
"es tut mir so leid, ich bin eine echte zumutung. ich sollte nach hause gehen", setzte ich nach.
"schhh."
der mensch lächelte noch immer, legte den zeigefinger auf die lippen und nahm mich bei der hand. er zog mich ins schlafzimmer und packte mich in sein bett.
"schlaf jetzt. du musst nun erstmal neue kraft sammeln. wenn was ist, ich bin nebenan und arbeite."
der mensch küsste meine stirn und verließ leise den raum.

es dauerte lange, bis ich eingeschlafen war, aber als es soweit war, ruhte ich tief in mir, mit dem bewusstsein, dass ein seltener zauber meine seele gestreift hatte. falls es einen gott gab, dann musste sich seine liebe genau so anfühlen.

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