Samstag, 3. März 2012
pas un rendez-vous
gestern abend todmüde aus der arbeit gestolpert und sofort ins bett gefallen, zwei minuten später tief und fest geschlafen.
dann plingte das handy. eine sms. schlaftrunken hangelte ich nach dem kleinen eckigen ding und stellte mit enormem erstaunen fest, dass das objekt mir geschrieben hatte. es hatte offenbar einen lyrisch-philosophisch-alkoholisierten moment gehabt und mir einen ellenlangen text getippt. ich brauchte mehrere minuten, um ihn zu lesen. komplexe gedankensprünge, befeuert von freund rachmaninoff, mutmaßte ich. ich versuchte erfolglos, einen bezug zu unseren letzten gesprächen zu finden. also schrieb ich zurück: falsche adresse - fragezeichen fragezeichen fragezeichen?

ich warf einen blick auf die uhr. es war kurz nach eins. dann plingte das handy noch einmal. es war die drittefreundin. sie und der dritte waren auf einer party. ob ich denn auch noch käme. da sprang ich aus den federn und unter die dusche.
als ich geschniegelt und gebügelt war, sah ich noch einmal auf das handy. keine antwort vom objekt - vermutlich lag ich also richtig mit der falschen adresse. dann schwang ich mich auf das fahrrad.

an einer roten ampel rief ich bei meinem herbergsvati vom letzten wochenende an.
"brauchst du wieder ein auffanglager?" fragte er lachend.
"vielleicht. aber viel lieber würde ich deine umstände vom letzten wochenende wiedergutmachen."
"ich bin aber gerade auf einem schachturnier. das kann spät oder vielmehr früh werden."
"das heißt, ich kann vor sechs uhr morgens ohnehin nicht mit dir rechnen?"
"kann auch sieben werden."
"schlecht."
"naja, also wenn du willst... du kannst gerne bei mir auf mich warten."
"ja klar, ich setze mich eine stunde lang vor deine haustür - das würde dir gefallen!"
"ich wollte es nur angeboten haben. wir könnten frühstücken. ich würde mich freuen."
"ich hab eine bessere idee. ich ruf dich an, wenn sie uns rauskehren, und falls du dann millionär und zuhause bist, komm ich noch vorbei."
"gut", meinte der mensch an anderen ende der leitung. "ich geb mir mühe. bis dann."

auf dem kiez wurde ich erstmal kontrolliert und durfte schon wieder meine tasche ausleeren. dann, in gnaden wieder entlassen, begab ich mich endlich in den kleinen souterrain-club.
bevor ich überhaupt meine jacke ausziehen konnte, traf ich das objekt. nach der letzten strangen begegnung - umarmung, tränen, weglaufen - war unser verhältnis nicht unbedingt entspannt, aber zumindest theoretisch der kontakt wiederhergestellt. noch während ich rätselte, ob und wie mich das objekt wahrnehmen würde, wurde ich schon mit einer stürmischen umarmung begrüßt und vollkommen high angestrahlt.
"morphine! was willst du trinken!"
"ähm..."
das objekt wartete nicht auf meine antwort und stürzte zur bar. dann kam es mit zwei kurzen, bier und einem wein für mich wieder.
"ich weiß doch noch, was du gerne magst."
"du solltest dich nicht in umkosten stürzen."
"ach was!"
wir exten die kurzen, dann kroch das objekt ganz nahe an mich heran.
"du duftest wie der frühling... wie ein engel!"
ich musste grinsen. das war endlich mal wieder das objekt wie es leibte und lebte. dann fiel mir die sms wieder ein.
"du hast mir heute eine sms geschickt, war die für mich?"
das objekt starrte mich entgeistert an:
"warum sollte die nicht für dich gewesen sein?!"
"ich weiß nicht, sie hatte jetzt nicht so den konkreten bezug auf irgendwas, was bei uns gerade aktuell wäre."
"morphine, ich habe mir eine flasche rum reingeknallt und dann fast eine stunde lang an dieser sms gesessen. natürlich war die für dich. solche smsen schicke ich keinen anderen frauen. die würden doch gar nicht verstehen, was ich meine."
ich zog die augenbrauen hoch. eines stand fest: das objekt war heute in höchstform, was trinken, drogen und charming betraf. unter garantie würde es heute auch noch jemanden abschleppen. im idealfall nicht mich.
"na dann ist ja gut", zeigte ich mich versöhnlich. "dann freu ich mich darüber."
das objekt schmunzelte:
"ich hab eine idee... ich werde künftig immer noch den satz anfügen: liebe morphine, die sms ist wirklich für dich, bitte jetzt freuen!"
ich boxte das objekt in die seite, woraufhin es sich gespielt krümmte und schmerzenslaute von sich gab.

da kamen der dritte und die drittefreundin auf uns zu.
"dass wir vier mal wieder hier zusammenstehen", sagte der dritte mit rührung in der stimmme.
nicht nur zwischen dem objekt und mir, sondern auch zwischen dem dritten und dem objekt hatte es im vergangenen jahr heftig gekracht.
wir umarmten einander. der dritte guckte mich zweideutig an und nahm unauffällig meine hand. nur das objekt registrierte die kleine geste und lächelte. ich wusste, dass es an die nächte zu dritt dachte, die es nicht mehr gab.

kurz nach fünf gingen die lichter an. das war sehr frühzeitig und für mich und meine pläne absolut ungünstig.
"wie bist du da", fragte mich das objekt, als wir schulter an schulter am ausgang standen.
"mit dem rad", antwortete ich.
"du bist knallhart."
"ich hab ja vielleicht nicht weit", sagte ich unbedacht.
das ließ das objekt aufhorchen.
"soso, was hast du denn noch vor?"
"ich hab mich unverbindlich versprochen, wenn man das so sagen kann. aber ich weiß noch nicht, ob wir uns sehen."
"wer ist es denn?"
"kennt man nicht."
"und in welchem verhältnis steht ihr?"
"ich kenn den kaum."
"fickt ihr?"
"nein. es könnte irgendwann passieren. aber es steht für mich nicht an erster stelle."
das objekt sah mich scharf an:
"du magst ihn."
"vielleicht."
das objekt sah mich noch einmal an und lächelte.
"okay, ich mag ihn", gab ich zu.
"dann sag doch nicht vielleicht, mann."
das objekt betrachtete mich amüsiert und schüttelte den kopf:
"bloß keine gefühle zeigen! am besten gar keine gefühle entwickeln! am besten überhaupt nicht mehr treffen, bevor es gefährlich wird! das sind deine gedanken, ich kenn dich doch. du hast angst davor, dass es gut werden könnte."

wie so manches mal traf das objekt exakt ins schwarze. das merkte es und nahm mich in die arme.
"du bist so verdammt verletzlich... und ich würde dich so gerne beschützen und dir ein freund sein, aber ich schaffs ja nicht mal für mich selber."
"ich habs gemerkt", sagte ich mit etwas mehr bitterkeit als gewollt.
das objekt nahm mein gesicht in seine hände:
"du brauchst auch mal jemanden, der für dich da ist. du hast das verdient. und vielleicht ist das ja ein guter."
jetzt wurde es mir doch zu viel.
"misch dich da nicht ein", wand ich mich aus dem festen griff des objekts.

das objekt ließ von mir ab und machte einen schritt zurück. ich streckte ihm eine zigarette hin.
"komm, lass uns noch eine rauchen."
schweigend gingen wir die große freiheit entlang und qualmten. das objekt schwankte unkontrolliert und hakte sich irgendwann unter.
"wo steht dein rad?" fragte mich das objekt.
"drüben, in der siedlung."
"achja. du hast ja angst vor dieben."
"nein, aber ich habe angst vor besoffenen assis, die mir aus jux auf den sattel kotzen."
"so ne assis wie ich, hm?"
"exakt."
das objekt knuffte mich und drückte mir einen kuss auf die wange.
"komm, ich bring dich noch."

nachdem wir uns verabschiedet hatten, rief ich meinen herbergsvati an. keiner ging ran. also sprach ihm auf die mailbox, dass ich müde sei und nicht mehr kommen werde. dann fuhr ich schnurstracks nach hause.
rendez-vous erfolgreich verhindert.

... link