Sonntag, 28. August 2011
kabale ohne liebe
mr. shyguy ist inzwischen einer meiner engsten freunde. nicht zuletzt, nachdem ich ihm neulich einen one-night-stand vermittelt habe, der wohl recht nett gewesen sein muss. zumindest befreite er mr. shyguy vorübergehend sogar von seiner krankhaften schüchternheit, was sonst nicht mal raue mengen alkohol und das gute/verruchte objektseitige zureden geschafft hatten.

mr. shyguy ist zugleich jedoch zweitbester objektfreund und mit dem objekt im gleichen dorf aufgewachsen. seit der objekt-ignore-krise hat sich mr. shyguy allerdings auf meine seite geschlagen und übermittelt mir insider-infos.

nach der gestrigen schlimmen nacht hatte ich mr. shyguy angerufen und ein bisschen mit dessen im hintergrund wuselnden, dringend pipi-müssenden hund um die wette gejault.
mr. shyguy schnappte sich die töle und nahm mich mit auf seinen spaziergang. ich berichtete von der objekt-eiszeit, die gestern neue tiefstwerte zwischenmenschlichen permafrostes erreicht hatte.
"ich versteh das nicht, warum der so arschig ist", meinte mr. shyguy am ende meines monologs.
"der hasst mich und das passt gut, weil ich hasse ihn jetzt endlich auch", erwiderte ich feuerspeiend.
"glaub mir, das ist nicht so." dann gestand mir mr. shyguy, dass das objekt ihn auf mich angesetzt hatte. mr. shyguy sollte den vermittler spielen.
ich staunte nicht schlecht.
"anderseits frag ich mich natürlich nun, was diese bitte soll, wenn er sich alles so versaut, indem er dich so behandelt."
"ich kann nicht mehr ausgehen, wenn das so weitergeht. ehrlich, jeder clubbesuch ist nur noch eine nervliche achterbahnfahrt."
"ach komm!"
"kannst du nicht...?"
ich musste den satz nicht zu ende sprechen, mr. shyguy hatte seinen auftrag schon verstanden.
"wenn das objekt heute abend da ist, red ich mal mit ihm. und du hübsch dich mal auf."
"aye, aye."

ich wählte mein bodenlanges spitzenkleid, entschärfte das sündige dekolleté ein wenig mittels bolero und wartete auf mr. shyguy, der mich abholen würde. gegen eins klingelte es an der haustür, dann stand mr. shyguy in meiner wohnung.
"na, immer noch in selbstmord-stimmung", begrüßte er mich.
"nee. ich freu mich inzwischen sogar ein bisschen auf den abend." neben mr. shyguy hatten sich noch ein, zwei andere nette bekannte angekündigt, sodass ich notfalls zumindest ausreichend gesprächspartner haben würde, die mich ablenken konnten.

als wir gerade vor dem club einparkten, rauschte ein sexy hinterteil auf einem fahrrad an uns vorbei. während wir ausstiegen, schwang sich das objekt mit raubtier-eleganz aus dem sattel und betrat vor uns den club. doof, wenn jemand, den man hasst, immer noch so überoptimale optische reize bietet.

drinnen begrüßte mr. shyguy zunächst das objekt, während ich sicherheitsabstand hielt und wartete, bis mr. shyguy mit der hallo-zeremonie fertig war. dann gingen wir ins nebenzimmer, erstmal was trinken und eine rauchen. als ich mich dort pflanzte, spürte ich einen blick von rechts - und da war der architekt!

ich freute mich von herzen und rutschte begeistert einige sessel weiter, bis ich den architekten in die arme nehmen konnte.
er strahlte mich an:
"ich freu mich so, dass du da bist."
"ich freu mich auch, dass du da bist. das ist ja ewig her."
der architekt guckte mich herzzerfetzend offenherzig an und nahm mich gleich nochmal in die arme.
"du siehst toll aus", fand er, und ich kicherte geschmeichelt.

als ich wieder aus der umarmung auftauchte, bemerkte ich, dass sich mr. shyguy und das objekt genau gegenüber niedergelassen hatten. das objekt warf seinem erzfeind einen vernichtenden blick zu. den architekten schien das nicht weiter zu stören und begann, sich ungeniert mit mir zu unterhalten. ich jubilierte heimlich. besser hätte es das schicksal gar nicht arrangieren können.

unterhaltungen mit dem architekten machen immer ungemein spaß. der architekt hat seltsame themen und kann den zuhörer unheimlich fordern. er springt von tagespolitik ins emotional-psychologische und zurück zu baurechtlichen fragestellungen. es sind gespräche, in denen man mitwachsen muss und darf und dabei ganz viel input und geistige impulse erhält. trotzdem hatte ich heute mein zweites ohr in den raum gerichtet und schnappte fetzen aus der unterhaltung zwischen dem objekt und mr. shyguy auf.

mr. shyguy bewies mut und herz und ging das objekt ziemlich aggressiv an, was ich der tonlage entnahm. dann hielt das objekt einen längeren monolog, von den ich nur einzelne worte wie "warten", "verzweifelt" und "liebe" aufschnappte. es geriet zeitweise stark ins stottern, was ich aus der vermehrten gestik ableiten konnte. zum schluss saß das objekt zusammengekauert da und verbarg das gesicht in den händen. mr. shyguy hatte die hand auf seiner schulter und redete immer noch leise und eindringlich auf es ein. das objekt schüttelte mehrmals den kopf, stand dann auf und ging wie ein angeschossener bär aus dem raum. was auch immer mr. shyguy gesagt hatte, ich applaudierte innerlich.

dann gab mir mr. shyguy einen wink, ihm nach draußen zu folgen. er lehnte sich an die tür und wirkte mitgenommen.
"du musst dir keine sorgen machen."
"wie meinst du das?"
"du hast dein ziel voll erreicht."
"mein ziel?"
"na, ihn fertigzumachen. der weiß ja gar nicht mehr, wohin er das ei legen soll."
"na hör mal. da ist er selber schuld, und das aktuelle verhalten trägt auch nichts zur besserung bei."
"das weiß er. er hat den eindruck, dass die sache vollkommen eskaliert und ihm aus den händen gleitet. es beschäftigt ihn ständig und es wird ihm immer unangenehmer."
"herrje. das ist aber jetzt kein gnadengesuch?"
"nein, er weiß schon, dass er an der reihe ist, wenn sich noch irgendwas zum guten bewegen soll."
"na gottseidank."
"es geht ihm aber wirklich schlecht dabei, das solltest du wissen."
"vielleicht tut er bloß so, weil er ahnt, dass du es mir erzählst und weil er drauf spekuliert, dass ich dann aus mitleid einknicke."
"das glaube ich nicht. ganz ehrlich nicht. das sag ich auch nicht, weil ich sein freund bin."
ich glaubte mr. shyguy, obwohl ich bisweilen argwöhnte, dass er das objekt zu sehr mochte, um sich nicht von dessen taktieren und manipulieren einlullen zu lassen.
ich umarmte mr. shyguy.
"danke für alles."
"dafür nicht. ist ja schließlich auch in meinem interesse, dass man irgendwann auch mal wieder was unbeschwert zusammen unternehmen kann."

ich ging zurück zum architekten und unterhielt mich weiter gut, bis ich müde wurde und die schmerzen mit unerwarteter heftigkeit durchbrachen. ich verabschiedete mich rasch vom architekten und suchte dann mr. shyguy, der meinen mantel im auto hatte.

mr. shyguy stand mit dem objekt da und unterhielt sich. ich musste also warten, bis das objekt weg war. ich drehte eine runde, dann entfernte sich das objekt richtung toilette. jetzt aber flott.
mr. shyguy war ein wenig traurig, dass ich nach hause wollte, verstand aber natürlich, dass man mit migräneartigen kopfschmerzen ungern im club herumsteht. er händigte mir den autoschlüssel aus. dann rauschte ich nach draußen.

vor dem eingang stieß ich mit jemandem zusammen. es war das objekt, das aus der herrentoilette gekommen war. oh nein.

ich bleib in schreckstarre stehen und auch das objekt hielt inne. unsere augen trafen sich. dem objekt wich die wenige farbe aus dem gesicht. es wurde aschfahl, während die augenringe scharf und dunkel hervortraten. der blick war grün und schön wie immer, so tief und traurig wie der ozean. die lippen öffneten sich und ich glaubte, die worte sehen zu können, die sich da in der kehle stauten, während außen alles stumm blieb.

drei, vier, vielleicht fünf sekunden währte der moment. dann riss ich mich los und rannte richtung parkplatz. nachdem ich meinen mantel hatte, rief ich mr. shyguy an.
"gibt´s probleme", fragte dieser überrascht.
"es klingt jetzt doof, aber: kannst du bitte deinen schlüssel holen kommen?"
mr. shyguy, der gute, fackelte nicht lange und kam nach draußen. ich streckte ihm den schlüssel hin.
"was ist denn los, du bist ja ganz grün um die nase", grinste mr. shyguy.
"ich hab gerade das objekt getroffen."
"und, hat es was gesagt?"
"nein. es hat nur geguckt."
"und?"
"und jetzt glaub ich dir."
"bist du deshalb nicht mehr rein gekommen?"
"ja."
mr. shyguy seufzte.
"im grunde ist die sache albern. ihr bedeutet einander so viel, und ihr seid euch so ähnlich... wie eine seele in zwei körpern... ihr gehört einfach zusammen."
"ich will aber nicht zusammengehören. außerdem bin ich jetzt mit jemand anderes zusammen."
"das ist doch nicht dein ernst."
"nein. aber ich versuche, es ernst zu meinen. es muss doch mal vorangehen."
"wenn du meinst."
"ich geh jetzt."
"pass auf dich auf."
"mach ich."
mr. shyguy umärmelte mich fest und ich spürte, dass ich in ihm einen echten freund hatte.

und dann ging ich, weil ich auf mich aufpassen und nicht zurücklaufen und dem objekt verzeihen wollte.

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