Sonntag, 11. Oktober 2009
heimat in der fremde
heimat und fremde sind gegensätze, die sich schwer vereinbaren lassen. wer ihre vermischung ertragen muss, übt sich im spagat.

dieses wochenende sind meine eltern zu besuch.
"was wollt ihr denn so machen? ich kann mir ja mal was ausdenken. ein schönwetterprogramm und ein schlechtwetterprogramm", bot ich vor einer woche am telefon an. hm, ja, mal sehen. sich schön in ein café setzen, schön kaffeetrinken und was schönes zu abend essen, lauteten die exotischen wünsche.
ich plante also bei schönwetter einen besuch des botanischen gartens, einen spaziergang durch die schanze und einen ausflug in die hafencity. bei schlechtem wetter dachte ich an einen museumsbesuch, eine runde durch hagenbecks aquarium sowie ein relax-programm in meiner lieblingstherme oder den besuch einer klassischen veranstaltung, bei der meine nachbarin frau stella mitwirkte.

gestern mittag stand die liebe verwandtschaft dann vor meiner tür. meine wohnung fanden sie entgegen aller erwartungen sogar "putzig" (ich hatte etwas in richtung "furchtbar klein", "alt", "sehr einfach" und "schäbig" erwartet).
dann ging es los. da es in regnen strömte, präsentierte ich mein schlechtwetterprogramm.
"wir wollen aber in die stadt", sagte mein vater. "ein bisschen in der mönchsbergstraße rumlaufen".
"in der mönkebergstraße und der fußgängerzone ist es jetzt vermutlich total überlaufen. wenn euch das nichts ausmacht..."
"nein, nein, und da gibt es dann sicher auch irgendwo ein schönes café", unterstützte meine mutter den vorschlag meines vaters.
"gut, dann machen wir uns auf den weg. wir können ja die übernächste u-bahn-station nehmen, dann seht ihr sogar noch ein bisschen was von den viertel, in dem ich hier wohne."
"aber es regnet doch!" so mein vater. "nein, nein, wir nehmen gleich die u-bahn um die ecke."

ein bisschen kultur wollte ich meinen eltern trotz allem zumuten. als wir am schlump ankamen, zwang ich meine eltern zum aussteigen und zeigte ihnen gegen ihren willen das schanzenviertel.
"was gibt es denn da besonderes?", fragte meine mutter.
"das so ein kunst-und-kulturviertel, da leben lauter junge hippe menschen und künstler und ökos und so. alle sind ganz individuell und kreativ bis zur hysterie."
ich lotse die beiden durch drei straßen.
"wann kommt denn da die nächste u-bahn? wie kommen wir denn hier wieder raus?", war mein vater besorgt.
"ach guck mal, da ist ein jever-schild!" entzückte sich meine mutter zwischen tausenden von kunstvollen graffiti über den aushang vor einer kneipe. "da kann man bestimmt später schön was essen."
"das ist doch nur lauter alter scheiß hier", meinte mein vater.
ich sah zu, dass wir zur u-bahn kamen.
als wir auf den grauen polstern saßen, schüttelte meine mutter den kopf: "dass du dich auch noch so gut auskennst in so einem wilden viertel!"

wir peilten den jungfernstieg an. als wir aus dem untergrund kamen, schüttete petrus volle kübel über uns aus.
"sollen wir ein bisschen durch die fußgängerzone gehen", brüllte ich gegen das geprassel an.
"gibt´s da denn ein schönes café", rief meine mutter, während mein vater schon die tische und stühle an den alster-arkaden anpeilte.
ich nahm einfach das nächstbeste café, denn inzwischen sehnte auch ich mich nach etwas wärme und trockenheit. als ich mich umsah, bemerkte ich, dass wir uns in einem scheißfeinen alte-damen-schuppen mit kitischig-güldener wanddeko befanden. am tisch neben uns saß eine uralte klunkerbehangene tussi mit sehr viel lippenstift, der in den runzeln ihrer mundöffnung gerann. sie las in einem buch über fabeltiere.
des lieben friedens willen bestellte ich wie meine eltern nicht nur kaffee, sondern auch ein stück torte. schokolademousse-tarte, das klang gut, fand ich.
nach etwa einer halben stunde des wartens knallte uns die stark umsatzorientierte türkische kellnerin die kunstvollen torten auf den tisch.
nun bewährte sich eine erfahrung aus meinen kindertagen: was gut klingt und umwerfend aussieht, ist meist von minderer qualität und schmeckt absolut scheußlich. diese these, die man leicht modifiziert übrigens auch auf potenzielle partner anwenden kann, wurde durch das konditorische erlebnisprodukt auf meinem teller zu 150 prozent verifiziert. zum glück hatten meine eltern ihre torte schon verputzt und nahmen sich meines stückes an.
"bestell dir doch noch was anderes", nötigte mich meine mutter. ich versuchte es also noch mit einer weiteren cremetorte, doch auch in diesem fall sorgte der würgereiz für das ausbleiben des kulinarischen orgasmus. meine eltern, hartgesotten, teilten sich auch dieses stück torte.
"ich glaube, heute abend brauche ich dann nur was kleines", stöhnte meine mutter im zucker- und buttercremeschock.
"ihr hättet das doch jetzt nicht aufessen müssen", sagte ich.
"ach naja, so schlecht war das auch wieder nicht."

im café war es arschkalt und zugig. nach zwei stunden schlotterte ich am ganzen körper.
mein vater zahlte, dann verließen wir diesen ort und wanderten wieder durch den regen. noch mal über den kiez? okay. nochmal nass werden. vielleicht eine kleine erkältung als souvenir.

erst am späteren nachmittag trennten wir uns. ich war inzwischen völlig ausgefroren.
"wir sehen uns dann später zum abendessen."
"wo gehen wir denn da hin?" fragte meine mutter.
"ich denk mir was aus."
"aber nicht wieder in so ein selbstbedienungsrestaurant!" warf mein vater ein. das letzte mal waren wir nämlich bei vapiano gewesen. das dortige autonome bezahl- und bedienprogramm hatte meine eltern stark verwirrt.
"nein, nein. ich denke, wir sollte ins raven gehen."
"was gibt´s da so?"
"alles. auch fleisch und nudeln und so. all die handfesten dinge."
meine eltern waren sichtbar erleichert.

20 uhr. ich traf im raven ein und organisierte einen tisch. meine eltern waren beeindruckt und plapperten ausnahmsweise mal nicht gleich drauflos wie sonst.
der kellner brachte die speisekarte. oha. das restaurant machte offenbar gerade orientalische wochen. während ich mich recht schnell für sushi entschied, brauchten meine eltern lange und erwogen das für und wider der einzelnen gerichte und ihrer zutaten. mein vater entschied sich schließlich für einen soliden fleischspieß, meine mutter, die zwischenzeitlich noch mehrmals betonte, nur etwas kleines essen zu wollen, bestellte einen vorspeisenteller mit auberginenmus und als hauptgericht kalbsklößchen und nudeln.

der kellner brachte uns kleine tellerchen mit einem appetizer.
"ein kleiner aperitif: poulardenbrust an fenchelkartoffel."
als der kellner sich umdrehte, flüsterte meine mutter mir zu: "aperitif ist doch was zum trinken! dass der das nicht weiß!"
"ich denke, man kann das sowohl für getränke als auch speisen sagen."
"das glaub ich nicht! das ist doch französisch!"
"möglich."
"na, sicher! so wie après-ski!"
"prost", sagte ich zur ablenkung und klirrte mit den gläsern.

auch der weitere verlauf des abendessens sorgte für große heiterkeit und einige momente des fremdschämens auf meiner seite.
als der kellner wiederkam, brachte er brot, eine käsecreme und oliven. für die oliven lag ein kleiner löffel, für die creme ein winziges buttermesser bei. ich strich etwas creme auf eine scheibe und wollte das messerchen an meinen vater weitergeben. der hatte jedoch schon den löffel genommen und in die creme gemanscht. nun lag der verschmierte löffel in den oliven.
dann wurde das essen serviert. ich nahm die stoffserviette und breitete sie über den schoß. meine mutter hatte es gesehen und tat es mir gleich. mein vater hingegen knüllte die serviette neben den teller.
"die serviette ist dafür gedacht, dass du dich nicht vollkleckerst", wagte ich einzuwerfen.
mein vater erwies sich jedoch als beratungsresistent. mit dem ergebnis, dass die ersten fettspritzer schon sein hemd verunzierten. meine mutter bemerkte es mit augenrollen. ich musste leise kichern.

trotz aller schwierigkeiten wurde es ein gelungenes mahl. mein sushi war köstlich, auch meine eltern konnten es genießen.
"das hat du toll ausgesucht", strahlte meine mutter und vertilgte die letzte nudel. "und was essen wir morgen?"

... link


in eigener sache
gute aktion:

http://www.youtube.com/watch?v=Ug0tdt0kdAg

nur eines wäre wichtig: es heißt immer noch PRAKTIKA und nicht PRAKTIKAS. wer PRAKTIKAS in einem spiegel-interview sagt, sollte mindestens ein jahr unbezahlt arbeiten müssen.

... link